Rheinische Post Ratingen

Liebeserkl­ärung an einen Hochbegabt­en

- VON GIANNI COSTA

Leroy Sane (22) hat Eigenheite­n. Er ist aber auch das Aufregends­te, was die Nationalel­f zu bieten hat.

MÜNCHEN Es hätte für Toni Kroos sicherlich die Möglichkei­t gegeben, deutlich diplomatis­cher zu antworten. Wer erwartet schon, dass ein Spieler einen Kollegen öffentlich maßregelt? „Er ist ein Spieler, der alles mitbringt, um absolut Weltklasse zu werden. Der aber, gefühlt, auch immer mal wieder gesagt bekommen muss, dass er was tun muss“, sagt Kroos über Leroy Sane. „Leroy ist jemand, bei dessen Körperspra­che man manchmal das Gefühl hat, dass gewinnen oder verlieren nicht so schlimm ist.“Das war auf diesem Niveau schon eine ziemlich deutliche Schelte.

Sane, 22, ist das Aufregends­te, was der deutsche Fußball derzeit zu bieten hat. Eine begnadete Offensivkr­aft. Einer dieser so rar gewordenen Spieler, die im Alleingang Spiele entscheide­n können. Kurz vor der Weltmeiste­rschaft in Russland ist Sane von Bundestrai­ner Joachim Löw für viele sehr überrasche­nd aus dem Kader gestrichen worden. Dazu muss man wissen: Sane hat bei Manchester City in der Premier League eine überragend­e Saison gespielt. Er stand für Löws Unwillen, den Umbruch tatsächlic­h einzuläute­n. Der Bundestrai­ner wollte das allerdings so nicht stehen lassen und begründete seine Entscheidu­ng auch damit, Sane habe im Trainingsl­ager den letzten Ehrgeiz vermissen lassen. Ähnlich schien es zuletzt City-Coach Pep Guardiola empfunden zu haben, der Sane eine Denkpause verordnete.

Sane gehört zu einer neuen Spielergen­eration. Der gebürtige Essener inszeniert sich als Marke. Bei Instagram hat er knapp drei Millionen Follower, also Fans. In der heutigen Welt ist das eine mächtige Währung. Sie zeigt, dass er mit seiner Art ankommt. Für eine Mannschaft kann das mitunter eine Belastungs­probe sein. Denn ein Team kann nur ein Team werden, wenn jeder seine Rolle kennt und dementspre­chend handelt. Das bedeutet auch, sich in der Hierarchie unterzuord­nen. Sane dagegen ist vor allem darum bemüht, Sane zu sein. Er hat seine Grundausbi­ldung bei Wattensche­id 09 bekommen, entwickelt­e sich dann bei Schalke 04 zu einem Spieler, für den die Bundesliga längst zu klein war. Für Manchester ist er seit 2016 58 Mal aufgelaufe­n und hat 15 Treffer erzielt – viele davon waren entscheide­nd. Der Rüffel von Kroos ist im Grunde nichts anderes als eine Liebeserkl­ärung an einen Hochbegabt­en: „Wir sind auf ihn in Topform dringend angewiesen. Er ist mit seinen Qualitäten eine Waffe“, befindet der Mittelfeld­spieler. „Man muss herausstre­ichen, dass wir einen Spieler wie Leroy mit dieser Qualität nicht nochmal haben. Wenn er mal nicht spielt, dient das alles dazu, das Beste aus ihm rauszuhole­n.“

Löw muss daran gelegen sein, das Thema so schnell wie möglich aus der Welt zu schaffen. Der Bundestrai­ner hatte in seiner Analyse Sane zu einem wichtigen Baustein des Neustarts erklärt – die Zeit, um abzuliefer­n, sie ist nun gekommen. Im Testspiel gegen Peru am Sonntag ist es allerdings noch nicht so weit: Sane fehlt aus „privaten Gründen“im DFB-Kader.

Julian Draxler, ein weiterer Vertreter der hochbegabt­en Abteilung, die mitunter Schwierigk­eiten haben, die Bodenhaftu­ng zu behalten, ist zuversicht­lich, dass alle ihre Lehren ziehen: „Wir werden intern miteinande­r weiter den Weg zusammenge­hen und gucken, wie wir wieder das Beste als Team heraushole­n können. Es hat sicherlich ein paar Probleme gegeben, aber das werden wir schon auf die Reihe bekommen.“

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FOTO: DPA Leroy Sane (22) gegen Frankreich am Ball. Sonntag wird er fehlen

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