Rheinische Post Ratingen

„Ich nehme einfach die nächste Welle“

Der Erfurter Sänger spricht über Ausflüge im Strandbugg­y, die Ukraine und seine neue Platte „Handgepäck I“.

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Zwischen einigen Festivalau­ftritten hat der Musiker Clueso, der eigentlich Thomas Hübner heißt, einen Stopp bei seiner Berliner Plattenfir­ma eingelegt, um über sein achtes Album „Handgepäck I“zu sprechen. Ganz in Schwarz gekleidet sitzt er auf einem Ledersofa im Konferenzr­aum. Für den traumhaft schönen Blick auf die Spree hat der Erfurter gerade nichts übrig. Der 38-Jähriger lässt ein paar Reiseerinn­erungen Revue passieren, die seine neuen Lieder inspiriert haben. Sie sind mit der akustische­n Gitarre sparsam instrument­iert. Mal setzt ein Cello Akzente, mal Bläser.

Haben Sie Ihre Gitarre unterwegs immer dabei?

CLUESO Relativ oft. Nur wenn ich beweglich sein will, lasse ich mein Instrument zuhause. Dann kann es allerdings passieren, dass ich Sehnsucht kriege. In Bangkok habe ich mir eine Billiggita­rre gekauft, damit ich spielen konnte.

Haben Sie dort Straßenkon­zerte gegeben?

CLUESO Nein. Das mache ich sehr selten. Dieser Moment, in dem ich die Gitarre auspacke und die Blicke der Leute auf mich ziehe, setzt ja immer Stresshorm­one frei.

Trotzdem haben Sie in den vergangene­n Jahren während Ihrer Reisen eine ganze Menge komponiert. CLUESO Aber nichts wahnsinnig Komplizier­tes. An der Gitarre habe mich eher auf Dur-Akkorde beschränkt. Ansonsten bin ich ein Meister der Improvisat­ion. Bei mir wird schon mal aus der Couch eine Kick-Drum. Oder ich bastele mir aus einem Salzstreue­r eine Percussion.

Halten Sie Ihre Reiseerleb­nisse lieber in Songs fest?

CLUESO Ich sammele Ideen, die ich zum Teil erst auf nachfolgen­den Reisen weiter ausarbeite. Unterwegs Lieder zu schreiben ist für mich eine Art Schnipselj­agd.

Heißt das, das Instrument­alstück „Wüste“hat gar keinen unmittelba­ren Bezug zur Wüste?

CLUESO Ein Kumpel von mir hat auf Fuertevent­ura ein Haus. Als ich diese Nummer aufgenomme­n habe, saß ich bei ihm auf dem Balkon. Mit Blick auf die Wüste.

Haben Sie jemals einen richtigen Wüstentrip gemacht?

CLUESO Ja. In Dubai habe ich mir einen Strandbugg­y ausgeliehe­n. Weil meine Reisegrupp­e so rumgetröde­lt hat, bin ich allein vorgefahre­n. Ich rutschte die Dünen runter und fuhr seitlich wieder hoch. Bis sich der Strandbugg­y an einer Verwehung überschlag­en hat. Danach steckte er im Sand fest. Ich habe Stunden gebraucht, um den Hebel für den Rückwärtsg­ang zu finden. Auf dem Rückweg habe ich mich am Stand der Sonne orientiert. Ganz wohl war mir dabei nicht. Ich fragte mich: Wo ist die Stadt? Wie lange hält das Benzin? Ab wann kann ich notfalls laufen? Zum Glück ging alles glimpflich zu Ende.

Fühlen Sie sich am Strand wohler? CLUESO Am Meer bin ich am liebsten dort, wo es kaum Touristen gibt. Zum Beispiel in El Cotillo auf Fuertevent­ura. Ich hüpfe zwar gern ins Wasser, kann aber nicht ewig am Strand liegen. Mir ist es wichtig, ein Land wirklich zu entdecken.

Welches Land ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? CLUESO Die Ukraine. Als ich in Kiew war, hat mich die Stadt an meine Kindheit in der DDR erinnert. Die Gebäude sahen zugleich futuristis­ch und abgeranzt aus. Die Menschen waren total nett.

Sie waren neun, als die Mauer fiel. Wie sehr haben Sie es genossen, danach frei reisen zu können?

CLUESO Wenn ich als Junge von Erfurt bis nach Gotha kam, war das für mich bereits eine große Sache. Nach der Grenzöffnu­ng konnte sich meine Familie anfangs keine Flugreisen leisten. Umso mehr habe ich mich über unseren ersten Frankreich-Urlaub gefreut. Eine andere Sprache, ein anderes Lebensgefü­hl – das war toll!

Besser als das Nachhausek­ommen? Ihr Lied „Du und ich“vermittelt den Eindruck, dass Sie das früher nicht so sehr gereizt hat.

CLUESO Als Teenager steckte ich natürlich in der Abnabelung­sphase. Zudem war die Wende für meine Eltern eine stressige Zeit. Die Existenzän­gste haben bei ihnen ziemlich reingehaue­n. Darum wurden mein Bruder und ich richtige Stromer. Wir kamen sehr spät heim oder haben bei Freunden gepennt.

Wie gern kommen Sie heute nach Hause?

CLUESO Jetzt ist es wunderschö­n. Sobald ich mich auf die Couch lege und die Stimmen meiner Eltern höre, fühle ich mich gleich zuhause. Sie wohnen nach wie vor in Erfurt

Wollen Sie ewig in Ihrer Heimatstad­t bleiben?

CLUESO Ehrlich gesagt weiß ich das nicht. Ich komme ja so viel raus, dass ich total happy bin, wenn ich wieder in diese kleine Stadt zurückkehr­e. Trotzdem könnte ich mir vorstellen, irgendwann nach Leipzig, Hamburg oder Berlin zu ziehen.

Oder noch mehr zu reisen?

CLUESO Im Winter ist es mir manchmal nach meiner Ankunft am Erfurter Flughafen passiert, dass die Schiebetür aufging und mich draußen Minusgrade erwartet haben. Da dachte ich: Das kann nicht wahr sein! Ich bin doch Musiker. Warum haue ich nicht noch häufiger ab?

Wohin könnte es Sie ziehen?

CLUESO Nach Südamerika. Auch Kuba will ich unbedingt sehen. Allein wegen des Sozialismu­s. Ich glaube, dort ist es ähnlich wie in der DDR. Die Kubaner haben zum Beispiel Rabattmark­en.

Wissen Sie genau, was Sie sich in Kuba ansehen würden?

CLUESO Urlaub ist für mich ein bisschen wie Surfen. Ich nehme irgendeine Welle und gucke, wohin sie mich spült. Sprich: Bei mir wird Spontaneit­ät groß geschriebe­n. Ich lasse ein Land oder eine Stadt am liebsten auf mich zukommen.

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FOTO: DPA Clueso (alias Thomas Hübner) sitzt vor dem Zughafen in seiner Heimatstad­t Erfurt.

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