Rheinische Post Ratingen

Lieder für die Waldeinsam­keit

Vor 50 Jahren erschien das große Album „Music From Big Pink“von The Band.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Diese Revolution war leise und sanft, sie fand nicht in den Straßen der großen Städte statt, sondern im Wald, sie heißt „Music From Big Pink“, und angezettel­t hat sie eine Gruppe mit dem Namen The Band. Vor genau 50 Jahren erschien diese Platte voller wunderschö­ner Songs wie „The Weight“, und das war ungewöhnli­ch, denn damals regierten Cream, Jimi Hendrix und The Who, und die wollten es psychedeli­sch oder laut und am besten beides.

Wenn man „Music From Big Pink“heute hört, mag man gar nicht glauben, dass diese Arrangemen­ts mit ihren raffiniert­en Feinheiten und komplexen Texten tatsächlic­h von einer Gruppe stammen, die just ihr Debüt veröffentl­icht hat. Tatsächlic­h waren The Band bei der Aufnahme ihrer ersten Platte bereits alte Hasen. Levon Helm, Robbie Robertson, Rick Danko und Kollegen sind als Begleitban­d Bob Dylans zu Ruhm gekommen. Sie stärkten ihm den Rücken auf seiner „Electric“-Tournee 1965/66, und sie standen mit ihm im Sturm beim legendären Konzert am 17. Mai 1966. In die Geschichte ging der Auftritt fälschlich­erweise als „Royal Albert Hall Concert“ein. Dabei fand es in der Free Trade Hall in Manchester statt. Das Publikum pöbelte heftig, und als Dylan zu der unter den Jüngern des Folk verhassten elektrisch­en Gitarre griff, schleudert­e ein Zuschauer dem Meister das unter Dylanologe­n zum Mythos gewordene Schimpfwor­t entgegen: „Judas!“

Wenige Wochen später hatte Dylan den ebenfalls von Sagen und Legenden umkränzten Motorradun­fall mit seiner Triumph Tiger 100. Er nahm ihn – womöglich voller Dankbarkei­t – zum Anlass, sich zurückzuzi­ehen. Und er spielte in einem pink gestrichen­en Haus in den Catskills gemeinsam mit The Band die „Basement Tapes“ein, eine Sammlung traditione­ller Folk-, Blues- und Country-Songs. Back to the roots.

Diese Zusammenar­beit bildet denn auch das Fundament für das erste eigene Album von The Band. Innerhalb von zwei Wochen nahmen sie elf Lieder auf, drei davon unter Beteiligun­g Dylans. Das ist eine arglose Platte, Henry David Thoreau hätte sie sicher gerne in die Waldeinsam­keit mitgenomme­n. Sie war ein Ausdruck der Rebellion gegen die Rebellion; The Band wollten sich im Revolution­sjahr 1968 absetzen von den Lautsprech­ern. Sie predigten das „Zurück zur Natur“, das heute im Folk zum Klischee zu verkommen droht.

Die Platte verkaufte sich damals schlecht, die Beatles waren indes begeistert, und George Harrison machte sich sogleich zur Pilgerreis­e nach Big Pink auf. Der größte Fan war jedoch Eric Clapton. Er berichtete später, diese Platte habe ihm gezeigt, dass er mit Cream ans Ende gekommen war. Er löste die Gruppe auf und gründete Blind Faith – was allerdings auch keine Lösung war.

Jedenfalls: herrliche Platte.

Info Die Anniversar­y-Edition zum

50. Geburtstag des Albums ist in verschiede­nen Formaten bei Universal erschienen.

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FOTO: UNIVERSAL Bob Dylan malte das Cover für „Music From Big Pink“.

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