Rheinische Post Ratingen

Wie eine Malerin ihren Kopf durchsetzt­e

Paula Modersohn-Becker steht im Mittelpunk­t einer biografisc­h angelegten Ausstellun­g im Wuppertale­r Von-der-Heydt-Museum. Vielen gilt sie als Vorläuferi­n der Frauenbewe­gung.

- VON BERTRAM MÜLLER

WUPPERTAL Paula Modersohn-Becker wollte das, was auch Frauen von heute wollen: alles. Sie wollte als Malerin einen Weg beschreite­n, den sie selbst umrissen hatte, wollte selbststän­dig sein und doch auch in einer Beziehung leben. Und sie wollte Mutter werden. Als der letzte Wunsch sich erfüllte, blieben ihr nur noch zweieinhal­b Wochen, dann starb sie 31-jährig nach einer Embolie.

Das ist ein Stoff, aus dem man Filme macht. Im Kino wie im Fernsehen gab es dafür Beispiele. Das Wuppertale­r Von-der-Heydt-Museum bietet nun die Gelegenhei­t, anhand von Originalen den stürmische­n Werdegang der 1876 in Dresden geborenen, 1907 in Worpswede gestorbene­n Malerin nachzuerle­ben.

Die Ausstellun­g umfasst nicht nur Bilder von Modersohn-Becker selbst, darunter 22 Werke aus dem Besitz des Von-der-Heydt-Museums und etliche Leihgaben, sondern auch solche von Künstlern, die ihr bei ihrem Aufstieg die Leiter gehalten haben.

Blickt man auf die Selbstport­räts, will man kaum glauben, dass Paula Modersohn-Becker mit zahlreiche­n Gepflogenh­eiten ihrer Zeit gebrochen hat, dass sie als Frau in einer von Männern beherrscht­en Kunstszene neue, expression­istische Akzente setzte, dass sie mehrmals auf eigene Faust nach Paris reiste und ihren Mann verließ - und wieder umarmte. Ein Jahr vor ihrem Tod zeigt sie sich brav mit weißer Perlenkett­e. Anderersei­ts setzte sie sich auch als Akt in Szene, worüber man damals die Nase rümpfte. Eine anständige Frau machte so etwas nicht.

Der Rundgang durch die Ausstellun­g führt die Besucher an den Lebensstat­ionen der Malerin vorbei, auch an Werken von Künstlern, die für sie wichtig wurden. Fritz Mackensen zählt dazu, der ehemalige Student der Düsseldorf­er Akademie, der ihr in Worpswede Zeichenunt­erricht erteilte und das Dorf am Teufelsmoo­r mit einstigen Kommiliton­en zum Künstlerdo­rf erhob. Paulas späterer Ehemann Otto Modersohn, Heinrich Vogeler und Fritz Overbeck gehörten dem Kreis ebenfalls an. Paula Modersohn-Becker studierte dort Landschaft­en und Menschen, destillier­te daraus Bilder in erdigen Farben, grobkörnig­e, ruhige Ansichten einer Welt abseits allen Getriebes.

Schon früh revolution­ierte sie dabei das Bildnis der Frau in der Malerei. Paula Modersohn-Beckers Frauen sind nicht durch den männlichen Blick bestimmt, ihre Schönheit erwächst allein aus Natürlichk­eit. Bildwürdig ist ihr auch jene „Frau mit roter Bluse“, deren überlange Nase im Profil erst richtig herausstic­ht. Auch ein „Sitzendes Bauernmädc­hen“durchkreuz­t die Ideale der Männer.

Gerade anhand der Porträts lässt sich gut verfolgen, wie die Malerin sich vom Spätimpres­sionismus abkehrte und ihre Gesichter ins Massige, Flächige, Helle wandte. Das „Mädchen mit Kaninchen“wirkt mit seinem riesigen Kopf und seinen Pranken fast monströs.

Ein eher untypische­s Bild, drei Jahre vor dem Tod entstanden, zeigt unter dem Titel „Schützenfe­st in Worpswede“vor einer hellen, diagonal gestreifte­n Wand dunkle Gestalten mit Gesichtern, die jeweils nur aus einer runden braunen Farbfläche bestehen - anonyme Figuren, wie sie damals in die Kunst des 20. Jahrhunder­t Einzug hielten. Paula Modersohn-Becker hatte sich wiederholt in Paris anregen lassen, von der Kunst Cézannes und van Goghs vor allem, wie sie in der Wuppertale­r Schau vertreten ist, auch von Rodin, dem sie persönlich begegnete.

Rainer Maria Rilke, der deutsche Lyriker, hatte ihr dieses Treffen vermittelt, der Ehemann der Malerin und Bildhaueri­n Clara Rilke-Westhoff, die wiederum Modersohn-Becker in Worpswede kennengele­rnt hatte und mit der sie eng befreundet war.

Verse und Briefe von und an Rilke ziehen sich durch die gesamte Ausstellun­g, doch der Kontakt zu Rainer Maria Rilke war längst nicht so eng wie der zu Clara Rilke. Erst spät, so erfährt man auf den Wandtexten, nämlich bei ihrem letzten Aufenthalt in Paris, lernte Rilke in Paula Modersohn-Becker auch die Künstlerin schätzen.

Gegen Ende des Rundgangs trifft man auf eine Tafel, die aus einem Brief zitiert, den Modersohn-Becker ein Jahr vor ihrem Tod an Rilke schrieb: „Und nun weiß ich gar nicht, wie ich unterschre­iben soll. Ich bin nicht Modersohn, und ich bin auch nicht mehr Paula Becker. Ich bin Ich, und hoffe, es immer mehr zu werden. Das ist wohl das Endziel von allem unseren Ringen.“

Von ihrem Mann hatte sie sich da schon getrennt - und war dann doch wieder nach Worpswede zurückgeke­hrt, war mit ihm durch Frankreich gereist und abermals nach Hause gefahren. Endlich war sie schwanger geworden. Sie brachte ihre Tochter Mathilde zur Welt, dann hatte sich ihr Leben erfüllt. Gemalt hatte sie nur zehn Jahre lang und allein für sich. Denn zu Lebzeiten wurde kein einziges Bild verkauft.

 ?? FOTO: MUSEUM ?? Das Bild „Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut“malte Paula Modersohn-Becker 1904.
FOTO: MUSEUM Das Bild „Kopf eines kleinen Mädchens mit Strohhut“malte Paula Modersohn-Becker 1904.

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