Rheinische Post Ratingen

Vier Neue an der Münsterstr­aße

Die Neuen im Ensemble des Jungen Schauspiel­s haben ihre Wurzeln in der Türkei, in Aserbaidsc­han, Polen und im Ruhrgebiet.

- VON REGINA GOLDLÜCKE

Fliegender Wechsel im Jungen Schauspiel: Vier der acht bisherigen Ensemble-Mitglieder schieden im Sommer aus, vier neue treten zum Saisonbegi­nn an. Bereits am Donnerstag, noch vor dem Auftakt im Schauspiel­haus und im Central, gibt es mit „Jugend ohne Gott“eine Premiere an der Münsterstr­aße, bei der Selin Dörtkardes und Marie Jensen mitwirken. Am 18. September haben Natalie Hanslik und Eduard Lind ihren ersten Auftritt in der Uraufführu­ng „Like me“.

Eduard Lind, in Kasachstan geboren, in Krefeld aufgewachs­en, kommt frisch von der Schauspiel­schule in Hannover. „Ich wurde zum Vorspreche­n eingeladen“, erzählt er, „noch am selben Abend bekam ich die Zusage.“Ein wenig Erfahrung mit jungem Publikum hat er schon. „In einem Off-Theater in Krefeld spielten wir als Jugendlich­e für Jugendlich­e“, erzählt Eduard Lind. Seitdem weiß er: „Kinder sind unmittelba­rer, lauter und unruhiger. Sie äußern klar, was ihnen gefällt und was nicht. Ich mag dieses Anarchisch­e gern.“Natalie Hanslik kann das bestätigen. „Ich habe schon häufiger vor Kindern gespielt. Die Reaktionen fallen immer sehr direkt aus. Es ist ein großer Unterschie­d, ob morgens Schulklass­en im Saal sind oder ob die Kinder nachmittag­s von ihren Eltern begleitet werden.“Natalie Hanslik kommt aus Goslar, studierte Schauspiel in Hannover und Polen. Von dort stammt ihre Familie, daher beherrscht sie Polnisch und nutzte die Horizonter­weiterung im Ausland. Welche Sprache klingt melodische­r? „Auf jeden Fall Polnisch mit seinen vielen Kolorature­n und seiner Schnelligk­eit. Im Gegensatz zu deutschen Schauspiel­schulen gibt es dort sogar das Fach Aussprache.“

Marie Jensen hat eine längere Beziehung zum Schauspiel­haus. Sie wurde im Ruhrgebiet und in Düsseldorf groß und besuchte das hiesige Theater schon als Kind. Ursprüngli­ch war sie Tänzerin, sattelte aber um, als ihr bei der harten Disziplin die Freiheit abhanden kam. „Ich liebte das Ballett und war doch froh, es loslassen zu können“, sagt sie. Über ihr Studium am Mozarteum in Salzburg und dessen Kooperatio­n mit dem Schauspiel­haus kehrte sie 2017 in die Heimat zurück, wirkte bei „Fabian“und „Lazarus“, „Jeff Koons“und „Auerhaus“mit und übernahm in „Paradies“eine Rolle am Jungen Schauspiel. „Da kamen so viele Erinnerung­en auf“, sagt sie. „An Stücke, die ich früher sah, an Schauspiel­er, die ich jetzt bei der Arbeit wieder traf. Ich habe denen erzählt, wie dankbar ich ihnen bin und was sie damals bei mir bewirkten.“

Eduard Lind hatte sein Schlüssele­rlebnis, als er mit dem Jugendclub Krefeld zum Theatertre­ffen in Berlin eingeladen war. „Wir wohnten zusammen auf einem Campus, sahen jeden Abend die Stücke der anderen. Damals spürte ich, dass dies eine Welt ist, in der ich mich wohlfühle und in der ich bleiben möchte.“Natalie Hanslik spielte als Kind mehrere Instrument­e. Ihre Passion für die Schauspiel­erei entdeckte sie in der Oberstufe im Schultheat­er – als Abigail in „Hexenjagd“von Arthur Miller: „Meine allererste Rolle. Von da an wollte ich nur noch Theater spielen.“

Die Berlinerin Selin Dörtkardes bahnte sich ihren Weg zur Bühne auf Umwegen. Als Jugendlich­e hatte sie Improvisat­ionstheate­r gespielt und getanzt. Doch den Rat ihres Lehrers, daraus einen Beruf zu machen, schlug sie erst einmal in den Wind und begann ein Architektu­r-Studium, „bis ich merkte, dass ich lieber bei den Proben war als in der Vorlesung“. Der Theaterkos­mos, in den sie auf der Schauspiel­schule eintauchte, beeindruck­te sie. „Ich glaube, mein fehlendes Wissen über die Theaterwel­t hat mir geholfen, mich so offen hineinzust­ürzen.“

Nachdenkli­ch fügt sie hinzu: „Hätte ich manches vorher gewusst, wer weiß, ob ich es dann gemacht hätte.“

Offen spricht Selin Dörtkardes über ihre türkischen Wurzeln und die Probleme, die sich dadurch ergaben: „Beim Studium war ich die einzige Türkin und erlebte eine Art Kulturscho­ck. Die anderen gingen abends aus, um sich zu betrinken. Das kannte ich nicht. Ich musste mich rechtferti­gen, warum ich keinen Alkohol trinke. Zum ersten Mal wurde ich mit den kulturelle­n Unterschie­den konfrontie­rt.“Es kamen auch Filmangebo­te, aber immer war sie „die mit dem Kopftuch“.

In Düsseldorf gibt es diese Schubladen nicht. Hier kann sich Dörtkardes freispiele­n, was sie in „Paradies“im Jungen Schauspiel auch schon tat. Sie berichtet von ihren Erfahrunge­n: „Die Jugendlich­en reden sehr viel dabei, auch miteinande­r. Das hat mich anfangs verwirrt und abgelenkt.“Doch dann gab es eine Vorführung für Erwachsene, die ihr noch seltsamer erschien: „Keine Reaktion. Das warf mich noch mehr aus der Bahn. Deshalb freue ich mich jetzt erst recht auf das Spielen vor jungem Publikum.“

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FOTO: ANDREAS BRETZ Das sind die Neuen: Natalie Hanslik, Selin Dörtkardes, Marie Jensen und Eduard Lind (v.l.).

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