Streit um die Hausarbeit
Sie gehören abgeschafft, fordert Uni-Dozent Christoph Tipker. Hausarbeiten als Prüfungsform, glaubt er, seien nicht sinnvoll. Die Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung ist da deutlich anderer Meinung.
BRAUNSCHWEIG Eigentlich haben Studenten nie Ferien. Semesterferien ist nur der freundlicher klingende Name der vorlesungsfreien Zeit. Und vorlesungsfrei bedeutet Selbststudium, Klausuren und – nicht zuletzt – Hausarbeiten. Die müssen oft erst kurz vor Semesterbeginn abgegeben werden, was dazu führt, dass viele Studenten einen Großteil ihrer „Ferien“für die Hausarbeiten in der Bibliothek verbringen.
Arbeit mit den Hausarbeiten haben auch die Dozenten, die sie korrigieren müssen. Weil der Lerneffekt im Verhältnis zu klein sei, forderte Christoph Tipker letztes Jahr im „Spiegel“, dass Hausarbeiten – insbesondere
Dienen die Leistungen dem Erkenntnisgewinn der Studierenden oder der Note?
für Studienanfänger – abgeschafft gehören. Tipker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Technischen Universität Braunschweig. Zu seiner Position im „Spiegel“steht er weiterhin, es sei nicht nur eine persönliche Polemik.
„Das Beherrschen epistemischen Schreibens, also die Möglichkeit, im Schreibprozess selbst eigene Erkenntnisse und Argumentationen zu entwickeln, kann nicht einfach zu einem bestimmten Lebensabschnitt – wie der Studienbeginn ihn darstellen mag – vorausgesetzt werden“, sagt Tipker. Auch Schreibwerkstätten könnten wissenschaftliches Schreiben nicht kurzfristig erzwingen. Sie zielten meist auf Formalien, sagt Tipker, also Quellensuche, Zitierstil und ähnliches. Um Erkenntnisgewinn gehe es aber selten.
Dozent Christoph Tipker kritisiert, dass „wissenschaftliches Arbeiten nicht in einer kommunikativen Wissenschaftskultur“stattfinde, man also Hausarbeiten für eine Note schreibt, nicht aus eigenem Interesse. Die Gesellschaft für Schreibdidaktik und Schreibforschung (Gefsus) hält den Übungscharakter der Hausarbeit für zentral, wie der Vorstand in einer Stellungnahme mitteilt: „Wer eine Hausarbeit schreibt, lernt und übt, selbst eine Fragestellung zu einem Thema zu entwickeln, selbst zu recherchieren, zu lesen, zu denken.“
Auch ohne Veröffentlichung sei die Hausarbeit wichtig, sagt die Gefsus: „Die Hausarbeit ist das Herzstück des geistes- und sozialwissenschaftlichen Studiums. Richtig begleitet und angeleitet, ist eine Hausarbeit nicht einfach eine Prüfungsform, sondern eine hervorragende Aufgabe, um zu lernen und zu üben, wie wissenschaftliches Handeln im jeweiligen Studienfach sich ausdrückt, und auch, um einen mündigen und aufgeklärten Umgang mit Wissen einzuüben.“Für die Gefsus ist eine Hausarbeit mehr als eine Prüfungsform, eine Aussage, der sich Tipker teilweise anschließt: Hausarbeiten schreiben für den Erkenntnisgewinn – und nicht für die Note. „Hausarbeiten eignen sich nicht als obligatorische Prüfungsform zur Herstellung der Vergleichbarkeit von Studienleistungen oder gar der Studienfähigkeit.“
Für Tipker ist der Prüfungsaspekt der Hausarbeit zentral, für die Gefsus zählt der Lerneffekt, nicht die Note. „Ein Student oder eine Studentin lernt durch die Arbeit an und Auseinandersetzung mit einer misslungenen Hausarbeit mehr als durch das Lernen für einen Multiple-Choice-Test, den sie oder er mit Bravour besteht“, argumentiert die Gefsus. „Die Schreibforschung zeigt, dass Fehler und Misslingen notwendiges Element von langfristigen Schreiblernprozessen sind.“
Wichtig sei auch, dass sich Studenten eigenständig positionieren und nicht nur von anderen abschreiben, sagt die Gefsus. Für Tipker hingegen ist das Rezensieren von Fachliteratur durch Studenten zentral, so könnten sich die Studenten ein „inneres Bild vom wissenschaftlichen Schreibprozess der Verfasser machen und gleichzeitig Grundkenntnisse des Faches erwerben, die sie sprachfähig machen“. Auch Lerntagebücher seien eine Option, um wissenschaftliche „Partizipationsfähigkeit“zu fördern.
Für ihn sind auch mündliche Prüfungen oder Referate mögliche Alternativen, dahinter stecke ebenfalls viel Auseinandersetzung mit einem Thema. „Anders als in einer Hausarbeit wird es hier möglich zu prüfen, ob Konzepte und fachliche Modelle tief erarbeitet wurden oder nur mittels Name-Dropping der Eindruck wissenschaftlicher Sorgfalt erweckt wird“, sagt Tipker. Für die Gefsus sind mündliche Prüfungen aber keine Alternative zur schriftlichen Arbeit: „Denn erst durch das schriftliche Ausformulieren findet eine vertiefte Auseinandersetzung mit eigenen und fremden Gedanken statt.“
Tipker möchte die Prüfungsformen verändern. Hausarbeiten stellt er infrage. Die Gefsus hingegen zweifelt nicht an der Lern- und Prüfungsform. Allerdings brauche sie viel Vorbereitung, Unterstützung und Besprechung, damit sie lernförderlich sei. „Dass es Lehrende gibt, die bekunden, die Abschaffung der Hausarbeit sei eine gute Idee, ist alarmierend“, sagt die Gefsus. Für sie sei das ein „Hinweis auf die Überforderung der Lehrenden angesichts schlechter Betreuungsrelationen“in vielen Studiengängen. Es brauche eine bessere Finanzierung an den Hochschulen, gerade auch von Schreibzentren. „Aus unserer Sicht darf auf die Öffnung der Hochschulen für immer mehr Studierende nicht mit der Abschaffung der Hausarbeit und damit mit einer Niveausenkung der Hochschulbildung reagiert werden.“