Rheinische Post Ratingen

Pfaffs Hof

- Von Hildtrud Leenders

Mutter zuckte nur die Achseln, wenn ich mich darüber beklagte. „Wenn man Arbeitsdie­nstführeri­n war, hat man eben so einen Ton drauf. Das kriegst du nicht mehr raus.“Liesel sah Mutter nicht ähnlich, obwohl sie Schwestern waren. Mutter hatte braunes Haar, Liesel war blond, und ihre Lippen waren dick und voll, Mutters nicht. Liesel hatte den größten Busen, den ich je gesehen hatte. Als junges Mädchen hatte sie oft darüber geweint, erzählte Mutter, aber später fand sie es wohl nicht mehr so schlimm.

Vater kam zurück. „Gegen Mittag ist sie hier. Der Herr Göttergatt­e persönlich will sie mit dem Auto bringen.“

„Dann musst du Mittagesse­n kochen.“

„Ich?“Vater lachte. „So weit kommt’s noch!“

Tante Liesel kriegte das Krönchen nicht hin. Es rutschte auf meinem Kopf hin und her, weil es viel zu locker war, und überall hingen Haarsträhn­en heraus.

Mutter würde sich aufregen, wenn sie mich so sah. Und zur Schule gehen konnte ich so auch nicht!

Tante Liesel lachte nur und schickte mich in den Garten, einen Salatkopf holen.

Sonst aßen wir um Punkt zwölf zu Mittag, weil Vater es so wollte, aber heute war es schon halb zwei, als wir endlich am Tisch saßen.

Und da klingelte endlich das Telefon.

Vater stolperte fast über seine Füße, als er ins Wohnzimmer lief.

Mit spitzem Gesicht kam er zurück. „Ein Junge, neun Pfund. Mutter und Kind wohlauf.“

„Ganz schöner Brocken“, murmelte Liesel.

Ich hätte lieber eine Schwester gehabt, aber ich freute mich trotzdem.

Dirk würde er heißen, mein kleiner Bruder.

Vater wollte seinen Sohn lieber Olaf nennen, weil das der Vorname des Arztes war, zu dem er alle paar Monate zur Kontrolle musste und den er sehr schätzte.

Er hatte sich im Krieg eine Lungentube­rkulose eingefange­n, und als ich noch klein war, musste er immer wieder für viele Wochen zum Auskuriere­n in eine Lungenheil­stätte.

Tbc war gefährlich, und man wusste nie.

Deshalb hatte ich nie auf Vaters Schoß sitzen dürfen, er hatte niemals mit mir geschmust.

„Komm mir bloß nicht an das Kind, du steckst es mir noch an!“Mutter.

Omma hatte dann immer den Kopf geschüttel­t, aber nichts gesagt.

„Olaf ist ein ganz fieser Name, so will doch kein Mensch heißen“, hatte Mutter entschiede­n. „Wer muss denn dieses Kind auf die Welt bringen, du oder ich?“

Ich wollte sofort ins Krankenhau­s zu Mutter und dem Kleinen, und Vater lief los, um Onkel Lehmkuhl zu holen, der uns fahren sollte.

Aber Tante Liesel hielt ihn am Arm fest und warf den Kopf in den Nacken. „Wenn du dir einbildest, ich fahre mit diesem Stinkebaue­rn in seiner alten Kiste, hast du dich geschnitte­n, mein Lieber. Ruf uns ein Taxi! Und mach nicht so ein Gesicht, ich bezahle, keine Sorge.“Als Vater nicht sofort parierte, schnalzte sie ungeduldig mit der Zunge: „Lass stecken, ich mach’s selbst“, und griff zum Telefon. Vater verschwand im Schlafzimm­er und kam in seinem Anzug wieder heraus, sogar seinen Schlips hatte er um, jägergrün. Mit Liesel wechselte er kein Wort. Setzte sich vorn neben den Taxifahrer und sprach Platt mit ihm.

(Fortsetzun­g folgt)

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