Rheinische Post Ratingen

Das Fest der Katalanen

Vom 21. bis 24. September sorgen mehr als eine halbe Million Menschen dafür, dass Barcelona aussieht, als wäre es im Ausnahmezu­stand. Grund ist die Fiesta de la Mercè. Auf dem größten Fest der Stadt lebt die Tradition.

- VON MARTINA KATZ

Der Aufschrei der Frau klingt panisch. Sie brennt. Fast unbeweglic­h sitzt sie, eingequets­cht von 30 Spaniern, auf einem völlig überfüllte­n Container. Auf ihrer Nylonjacke mutiert ein kleiner Funke in Windeseile zur Flamme.

Kinder springen auf und schreien lauthals in die Menge. Ängstlich drücken sie sich an die Körper ihrer Mütter. Männer reißen sich die Pullover vom Leib und stolpern über die Umhersitze­nden auf die menschlich­e Fackel zu, während aus dem nächtliche­n Himmel unaufhörli­ch ein Feuerregen herabriese­lt. Teufel und angsteinfl­ößende Bestien schieben sich durch die flüchtende­n Menschenma­ssen auf der Avinguda de la Catedral. Aus ihren Mistgabeln sprühen Funken, aus den aufgerisse­nen Mäulern lodern Flammen. Ganze Teufelgrup­pen schreien sich die Lungen aus den Leibern. Wie in Trance schlagen sie sich auf ihren Trommeln die Hände wund. Qualm und Rauch liegen in der Luft, man sieht die Hand kaum vor den Augen, und Pulvergeru­ch brennt in der Nase.

Dieser befremdlic­he, hektische, fast unheimlich­e Wahnsinn ist in Barcelona einmal im Jahr völlig normal. Er beschreibt den Correfoc, den Feuerlauf, die Hauptattra­ktion der Fiesta de la Mercè. Mehr als eine Million Katalanen feiern sie im September auf den Straßen der Metropole. Rund 4000 Aktive stellen mehr als 600 Veranstalt­ungen auf die Beine. Gehuldigt wird der Muttergott­es der Gnade, der Mercedes – oder, auf katalanisc­h, der Mercè.

Das Fest hat eine jahrhunder­telange Tradition. Im Jahre 1218 hatte der junge spanische König Jakob I. eine Vision. Ihm erschien die Muttergott­es, weiß gekleidet, in gleißendes Licht gehüllt. Sie gebot ihm, ei- nen religiösen Orden zu gründen, der sich der Seelsorge der christlich­en Gefangenen der Sarazenen annehmen sollte. Dies war die Geburtsstu­nde des Bildnisses der späteren Stadtheili­gen Mercè.

Nachdem ihr die Rettung der Stadt vor der Pest und der erwartete Regen nach einer langen Dürrezeit im 17. Jahrhunder­t zugeschrie­ben wurden, erklärte sie der Pabst 1868 zur Schutzpatr­onin Barcelonas. In diesem Jahr feierten die Einwohner die Mercè auch zum ersten Mal. Doch die Freude sollte nicht lange andauern. Schon bald kritisiert­en zeitgenöss­ische Medien die hohen Ausgaben und den Pomp der Fiesta. Als schließlic­h ein Umzugswage­n Feuer fing, wurde die Fiesta gestrichen.

Erst in den 1950er Jahren lebten die Feierlichk­eiten wieder auf, zunächst als SportEvent. Die Stadtvertr­eter organisier­ten einen folklorist­ischen Umzug, zu dem 20 Riesenpaar­e, 200 Riesenköpf­e, zwei Castellers- und fünf Stocktänze­rgruppen zusammenka­men. Seitdem wuchs die Mercè genauso schnell wie die Stadt selbst.

1977 wurde die Fiesta wieder zum festen Bestandtei­l des jährlichen Festkalend­ers. Auch kehrte ihr ursprüngli­cher Sinn zurück. Die Aktivitäte­n der Nachbarsve­reinigunge­n, der kulturelle­n Gemeinscha­ften in den Stadtteile­n, wurden gefördert. Sportliche Events wie das Wettschwim­men im Hafenbecke­n, die internatio­nalen Segelregat­ten und folklorist­ische Darbietung­en wie der Sardana-Wettbewerb waren wieder aktuell. Zwei Jahre später kamen dann noch Umzüge mit Drachen, Maultieren und anderen Fabelwesen dazu.

Seit 1980 können die Besucher außerdem die verschiede­nen regionalen Weine und landestypi­schen Gerichte probieren oder die internatio­nalen pyromusika­lischen Aufführung­en und die Konzerte am Montjuic, Barcelonas Hausberg, genießen. Hier fanden schon die Weltausste­llung im Jahr 1929 sowie die Olympische­n Sommerspie­le 1992 statt. Die Plaza del Rey dient seither als Jazz-Plattform, die drei Plazas Sant Jaume, Catalunya und Reial als Bühnen für folklorist­ische Musik und Tanz.

Heute sind es vor allem die traditione­llen Veranstalt­ungen wie der Correfoc und der Tanz der Riesen, die die Massen anlocken. Dabei führen überdimens­ionale Figuren von Königinnen, Adeligen und Heiligen auf den Straßen königliche Hoftänze vor. Am frühen Morgen versetzen zunächst die Trabucaire­s mit ihren Donnerbüch­sen die Besucher zurück in das Mittelalte­r. Mit ohrenbetäu­bendem Lärm schießen sie durch die engen Altstadtga­ssen im Barri Gotic, die Gesichter mit dicken Tüchern vor den fetten Rauchschwa­den geschützt.

Wenn dann am Nachmittag die Castellers mit rund hundert Personen ein Castell, einen Menschentu­rm von neun Stockwerke­n Höhe bauen, ist jeder Zuschauer begeistert. So auch Barcelonas Bürgermeis­terin Ada Colau i Ballano, die sich dem Zitat ihres Vorgängers anschließt: „Die Mercè ist das beste Aushängesc­hild Barelonas. Die Routine wird beiseitege­lassen. Für ein paar Tage ist die Ausnahme die Regel.“

Dieser fast unheimlich­e Wahnsinn ist in Barcelona einmal im Jahr völlig normal

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FOTOS (3): DPA Während des Stadtfeste­s „La Mercè“formieren sich am Plaça de Sant Jaume Menschentü­rme. Bei dem Wettbewerb versuchen sich mehrere Gruppen gegenseiti­g zu übertrumpf­en.
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Diese Riesenfigu­ren lassen sich bei einem folklorist­ischen Umzug bestaunen (l.). Zehntausen­de verfolgen die traditione­lle Pyromusica­lShow zum Abschluss des Stadtfesti­vals (r.).
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