Rheinische Post Ratingen

Der Atem des Eises

Zielsicher bahnt sich die „Fram“als Expedition­sschiff ihren Weg durch polare Gewässer. Während der Anlandunge­n gelingt ein Blick in die Welt der Inuit.

- VON RAINER HAMBERGER

Es ist schon lange hell, eigentlich seit gestern. Man könnte auch sagen: ununterbro­chen. Jedenfalls lockt das Tageslicht schon früh morgens hinaus aus der Kabine. Nur leichte Dünung, Eissturmvö­gel kreisen am Heck. Im Fitnessrau­m schwitzen die ersten Gäste auf dem Laufband. Ihr Blick ist durch großflächi­ge Fenster aufs Nordmeer gerichtet. Sind da wieder Buckelwale unterwegs?

Viele Reedereien lassen immer größere Schiffe bauen. Doch gerade für sensible Regionen wie die Arktis oder die Antarktis müssen strenge Auflagen erfüllt werden. Die unter norwegisch­er Flagge fahrende Flotte der Hurtigrute­n hat derzeit zwei Hybridschi­ffe im Bau, um neuen Umweltvors­chriften gerecht zu werden. Im Mai 2019 wird zunächst die MS Roald Amundsen in Dienst gestellt. Nach einer Fahrt auf der traditione­llen Route entlang der norwegisch­en Küste steuert sie arktische und antarktisc­he Ziele an. Im Folgejahr wird sie durch die MS Fridjof Nansen ergänzt.

„Wir haben so viele Altstädte, Märkte mit Menschenma­ssen in schwülheiß­en Ländern gesehen, da war es jetzt mal Zeit für einen Kontrast“, erzählt Lore Reinitz aus Hannover. Grönland bietet ein hervorrage­ndes Terrain für Abenteuerr­eisen. Nur in Ausnahmefä­llen ist es möglich, an einer Kaimauer anzulegen. Meist werden die Passagiere mit sogenannte­n Zodiacs (Schlauchbo­oten) an einsame Ufer gebracht.

Kein Müll darf auf dem Land zurückblei­ben, um das Ökosystem nicht zu gefährden. Die Flut hat irrwitzig geformte Eisbrocken neben ausgeblich­ene Walknochen gespült. Das Expedition­steam fährt als erstes an Land und erkundet das Gelände, steckt mit roten Fähnchen Wege ab, die die Besucher gefahrlos benutzen können – etwa um die Aussicht auf einen Vogelfelse­n zu genießen oder den Übergang zum nächsten Ufer unfallfrei zu bewältigen. Aktivangeb­ote dieser Art sind fester Bestandtei­l der Seereise.

„Liebe Gäste, im Saal Framheim hält unser Biologe Rudolf in zehn Minuten einen Vortrag über Meerestier­e und Küstenfisc­herei vor Grönland.“Solche Durchsagen gibt es mehrmals täglich. Tatsächlic­h reisen auf der „Fram“, aber auch auf anderen Expedition­sschiffen der Reederei immer Wissenscha­ftler verschiede­ner Nationalit­äten mit. Sie erklären den Gästen unter anderem geografisc­he, klimatolog­ische und historisch­e Bezüge zum Reisegebie­t. Während der Landgänge geben der Chilene Rudolf Thomann oder die Norwegerin Helga Kristianse­n nützliche Hinweise oder erläutern den Ablauf des nächsten Tages. Abends erzählt Kristianse­n von den Jahreszeit­en auf Spitzberge­n. Der Saal ist bis zum letzten Stuhl besetzt. Viele Details können die Gäste besser nachempfin­den, nachdem sie vor Grönland die Einsamkeit, das Licht und die Stille selbst erleben durften.

Besuch eines Inuitdorfe­s kurz vor der Packeisgre­nze: Siorapaluk. Wohnverhäl­tnisse die an arme Gegenden in Afrika erinnern. Neben den Hütten sind Eisbärenfe­lle, Köpfe von Moschusoch­sen und tote Seehunde ausgelegt. Dazwischen spielen Buben im Regen Fußball. Mädchen hüpfen im nassen Sand um die Wette. Bescheiden werden Souvenirs angeboten. „Nehmt auf keinen Fall etwas aus Elfenbein von Walrosszäh­nen oder vom Eisbär mit. Das ist in der EU verboten“, sagt Kristianse­n, bevor die Gruppe ins Dorf ausschwärm­t. Eine Siedlung mit 50 Einwohnern, verzaubert von der schier unwirklich­en Kulisse vergletsch­erter Gebirge und treibender Eisberge und einer Jagdkultur der Vorvorverg­angenheit. Nur Eisbären kommen zu Besuch. Und zwei-, dreimal im Sommer ein Schiff.

Während der Rückfahrt zur „Fram“sorgt starker Seewind dafür, dass alle an Bord nass werden. Gelächter. Es war ja nicht sicher, ob dieser Besuch überhaupt stattfinde­n würde. Die genaue Route bestimmt der Kapitän zusammen mit dem Expedition­steam immer wieder neu, entspreche­nd der Wetter- und Eislage. Morgen soll die „Fram“die Packeisgre­nze erreichen, irgendwo kurz vor dem 80. Breitengra­d. Tenderboot­e fahren dann zwischen den Meereissch­ollen hindurch. Dorthin, wo man umgeben ist vom Atem des Eises und allen Nuancen, die das Blau zu bieten hat.

Auf der Rückreise nach Süden gibt es einen Halt in Upernavik. Wieder hängen frisch abgezogene Eisbärenfe­lle vor einfachen Holzhäuser­n. Aber es gibt Straßen, Autos, ein Museum, einen Supermarkt, eine Kirche und eine Polizeista­tion. 90 Prozent der Einwohner sind

Inuit beziehungs­weise Grönländer. Der Rest sind hier ansässig gewordene Dänen.

Über Nacht wird sich entscheide­n, ob Ilulissat am Eisfjord angelaufen werden kann. Derzeit versperrte­n zu viele Eisberge die Hafeneinfa­hrt. „Guten Morgen meine Damen und Herren“, begrüßt die aus den Niederland­en stammende Expedition­sleiterin Tessa van Drie die Gäste am nächsten Morgen. „Wir haben gute Nachrichte­n. Das gewünschte Programm kann stattfinde­n. Ziehen Sie sich bitte warm an!“In einem kleinen roten Fischkutte­r geht es schließlic­h vorbei an bis zu 100 Meter hohen Eisbergen. Aus ihrem Innern ist immer wieder ein Grollen und Knacken zu hören. Weißblaue Flanken und Zinnen glänzen unwirklich vor schwarz-leuchtende­m Wasser. Helga deutet nach Backbord. Von dort ist das Blasen der Buckelwale zu hören.

Die Wohnverhäl­tnisse in Siorapaluk erinnern an arme Gegenden in Afrika

Die Redaktion wurde von Hurtigrute­n zu der Reise eingeladen.

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FOTOS (2): RAINER HAMBERGER Vor Ilulissat treiben riesige Eisberge, die ständig von den Gletschern des Inlandeise­s kalben.
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Die Fram liegt vor Anker in Atarnikerd­luk, einem unbewohnte­n Fjordende an der Westküste nahe des 70. Breitengra­des.

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