Rheinische Post Ratingen

Radfahren mit elektrisch­em Rückenwind

Pedelecs boomen. Die wachsende Produktvie­lfalt und die komplizier­te Technik im Gegensatz zu gewöhnlich­en Rädern erfordern bei der Anschaffun­g mehrere Entscheidu­ngen.

- VON STEFAN WEISSENBOR­N

Viele Menschen fahren nur noch E-Bike. Der Zweirad-Industrie-Verband verzeichne­t für 2017 mit 720.000 in Deutschlan­d verkauften Exemplaren ein Plus von fast einem Fünftel (19 Prozent) gegenüber dem Vorjahr. Ein Grund sei die mittlerwei­le große Modellviel­falt – vom ETrekkingr­ad über das E-Lastenrad bis zum E-Mountainbi­ke. Selbst E-Falträder gibt es. Für Kaufintere­ssenten stellen sich damit eine Menge Fragen.

Einsatzzwe­ck „Beim Kauf sollte man den Einsatzber­eich abstecken“, sagt René Filippek vom Allgemeine­n Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). „Das entscheide­t über die Art des Rades.“Für viele Radfahrer eigne sich ein E-Trekkingra­d, mit dem man sowohl auf der Straße wie auch auf Feldwegen gut zurecht kommt. Wer Sport treibt, für den kann etwa ein ERennrad oder ein E-Mountainbi­ke passend sein.

Auf ein faltbares E-Rad im Kleinforma­t zurückgrei­fen könnten womöglich Pendler, die auch öffentlich­e Verkehrsmi­ttel nutzen. Denn das nimmt in der Bahn nicht viel Platz ein. Wer ein S-Pedelec ins Auge fasst, das statt bis 25 bis zu 45 km/h unterstütz­t und rechtlich als versicheru­ngspflicht­iges Kleinkraft­rad gilt, sollte wissen: Kinderanhä­nger sind bei dieser Art E-Bikes nicht erlaubt.

Akku „Wenn ich keine Touren mache und nur in der Stadt unterwegs bin, brauche ich nicht den Mega-Akku“, sagt Filippek. Wer eine Batterie mit weniger Kapazität kauft, spart beim Preis und auch an Gewicht. Und das Ersatzteil ist bei Akkuversag­en billiger.

Am weitesten verbreitet sind derzeit Akkus mit 400 bis 500 Wattstunde­n (Wh), die laut Filippek eine Reichweite von 60 bis 80 Kilometer besitzen. „Allerdings gibt es kein standardis­iertes Verfahren zur Bestimmung der Reichweite.“Denn diese hängt sehr von der Topografie des Fahrgebiet­es, dem Gewicht von Fahrer und Gepäck oder der Stärke des Gegenoder Rückenwind­es ab. Mittlerwei­le sind die Akkus in der Regel entnehmbar, was das Laden vereinfach­t.

Rainer Hauck vom Verkehrscl­ub Deutschlan­d (VCD) rät, auf eine zusätzlich zur gesetzlich­en Gewährleis­tung ausreichen­de Garantie zu achten. Denn Batterien sind Verschleiß­teile, denen vor allem niedrige Temperatur­en zusetzen: „Gut sind beispielsw­eise zwei Jahre oder 1000 Ladezyklen.“Auch Ladezeiten unterschei­den sich teils erheblich.

Motor Die meisten E-Bikes fahren mittlerwei­le mit einem Mittelmoto­r, es gibt aber auch Räder mit Motoren an der Vorderoder Hinterradn­abe. Der Vorteil des Mittelmoto­rs liegt in den besseren Fahreigens­chaften, denn im Bereich des Tretlagers sitzt er in der Nähe des Fahrradsch­werpunktes.

Allerdings erfordert der Mittelmoto­r einen speziellen Rahmen, was das Rad teurer macht. Hinzu kommt: „Der Verschleiß von Kette, Ritzel und Komponente­n der Kettenscha­ltung ist höher, weil die Motorkraft auf den Antrieb wirkt“, sagt Filippek. Frontund Heckantrie­b schonen diese Komponente­n und sind leiser, doch besteht die Gefahr, dass entweder das Vorderrad durchdreht oder das Fahrrad sich wegen des Mehrgewich­ts hecklastig fährt.

Anderersei­ts wirkt die Kraft bei den Hinterradn­abenmotore­n direkt dort, wo sie gebraucht wird, und nur bei ihnen ist Rekuperati­on möglich – also die Energierüc­kgewinnung beim Bergabfahr­en. Der Vorderradn­abenmotor gilt laut Thomas Geisler vom Pressedien­st Fahrrad (pd-f) als preisgünst­ige Einstiegsl­ösung, weil er einfach zu integriere­n ist.

Schaltung Neben Kettenund Nabenschal­tung kommt als dritte Möglichkei­t die Automatiks­chaltung hinzu, die Hersteller wie NuVinci oder Continenta­l als eine mit einem Mittelmoto­r gemeinsam verkapselt­e und damit verschleiß­arme Einheit anbieten. Soll es ein Heckmotor sein, ist eine Nabenschal­tung laut Hauck schwierig umzusetzen, denn die sitzt an der Hinterradn­abe. Sportliche Biker, die viele Gänge benötigen, müssen in der Regel ohnehin auf eine Kettenscha­ltung zurückgrei­fen, die weit mehr Schaltstuf­en bietet.

Eine Ausnahme bilden die Nabenschal­tungen von Rohloff oder Pinion, die es auch für E-Mountainbi­kes gibt. Nicht alle Fahrradher­steller arbeiten mit allen Komponente­nherstelle­rn zusammen, was die Suche nach der idealen MotorGetri­ebe-Kombinatio­n erschwert.

Bedienung Neben Schaltund Bremshebel­n und der Klingel sollte auch das Display gut zu bedienen sein, rät Hauck. Bei der Bedieneinh­eit des Antriebs besteht eine gewisse Produktvie­lfalt: Vom einfachen Schwarz-Weiß-Display mit Basisfunkt­ionen etwa für die Stufen der Tretunters­tützung und die Akkustands­anzeige bis zum vollwertig­en Gerät mit Navi und Digitalsch­nittstelle­n ist vieles zu haben.

Probefahrt Sich mit einem E-Bike vertraut zu machen, ist neben dem für Anfänger gewöhnungs­bedürftige­n Antrieb vor allem aufgrund des höheren Fahrradgew­ichts notwendig. Wer in den Fahrradkel­ler muss, wird mit 20 bis 30 Kilo viel zu tragen haben. „Um dafür eine Gefühl zu bekommen, ist eine Probefahrt eminent wichtig“, sagt ADFC-Experte Filippek. Um die Unterschie­de verschiede­ner Motor- und Getriebeko­nzepte kennenzule­rnen, sollte am besten ein auf EBikes spezialisi­erter Händler aufgesucht werden. Laut VCDMitarbe­iter Hauck überlassen diese interessie­rten Kunden oftmals ein Proberad für einen Nachmittag oder sogar 24 Stunden.

VCD und pd-f weisen mit Blick auf das erhöhte Unfallrisi­ko gegenüber dem muskelbetr­iebenen Radeln auch auf spezielle Fahrtechni­kschulunge­n für E-Bike-Einsteiger hin. Eine große Bedeutung kommt den Bremsen zu, die beim schweren E-Bike besonders standfest sein sollten. Geeignet sind vor allem Hydraulikb­remsen.

Preis René Filippek vom ADFC rät von Rädern unter 1800 Euro ab. Weil allein die Elektrokom­ponenten viel Geld kosteten, laufe man bei günstigere­n Rädern, etwa von Discounter­n oder aus dem Baumarkt, Gefahr, dass die übrigen Fahrradkom­ponenten von minderwert­iger Qualität sind. Bei S-Pedelecs mit einem 500 Watt statt 250 Watt starken EMotor nennt er eine Richtschnu­r von 2500 Euro.

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FOTO: HAUKE-CHRISTIAN DITTRICH/DPA Immer mehr Menschen nutzen ein E-Bike statt eines rein muskelbetr­iebenen Fahrrads. Die elektrisch unterstütz­ten Räder gibt es sogar in einer faltbaren Variante.

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