Radfahren mit elektrischem Rückenwind
Pedelecs boomen. Die wachsende Produktvielfalt und die komplizierte Technik im Gegensatz zu gewöhnlichen Rädern erfordern bei der Anschaffung mehrere Entscheidungen.
Viele Menschen fahren nur noch E-Bike. Der Zweirad-Industrie-Verband verzeichnet für 2017 mit 720.000 in Deutschland verkauften Exemplaren ein Plus von fast einem Fünftel (19 Prozent) gegenüber dem Vorjahr. Ein Grund sei die mittlerweile große Modellvielfalt – vom ETrekkingrad über das E-Lastenrad bis zum E-Mountainbike. Selbst E-Falträder gibt es. Für Kaufinteressenten stellen sich damit eine Menge Fragen.
Einsatzzweck „Beim Kauf sollte man den Einsatzbereich abstecken“, sagt René Filippek vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC). „Das entscheidet über die Art des Rades.“Für viele Radfahrer eigne sich ein E-Trekkingrad, mit dem man sowohl auf der Straße wie auch auf Feldwegen gut zurecht kommt. Wer Sport treibt, für den kann etwa ein ERennrad oder ein E-Mountainbike passend sein.
Auf ein faltbares E-Rad im Kleinformat zurückgreifen könnten womöglich Pendler, die auch öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Denn das nimmt in der Bahn nicht viel Platz ein. Wer ein S-Pedelec ins Auge fasst, das statt bis 25 bis zu 45 km/h unterstützt und rechtlich als versicherungspflichtiges Kleinkraftrad gilt, sollte wissen: Kinderanhänger sind bei dieser Art E-Bikes nicht erlaubt.
Akku „Wenn ich keine Touren mache und nur in der Stadt unterwegs bin, brauche ich nicht den Mega-Akku“, sagt Filippek. Wer eine Batterie mit weniger Kapazität kauft, spart beim Preis und auch an Gewicht. Und das Ersatzteil ist bei Akkuversagen billiger.
Am weitesten verbreitet sind derzeit Akkus mit 400 bis 500 Wattstunden (Wh), die laut Filippek eine Reichweite von 60 bis 80 Kilometer besitzen. „Allerdings gibt es kein standardisiertes Verfahren zur Bestimmung der Reichweite.“Denn diese hängt sehr von der Topografie des Fahrgebietes, dem Gewicht von Fahrer und Gepäck oder der Stärke des Gegenoder Rückenwindes ab. Mittlerweile sind die Akkus in der Regel entnehmbar, was das Laden vereinfacht.
Rainer Hauck vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) rät, auf eine zusätzlich zur gesetzlichen Gewährleistung ausreichende Garantie zu achten. Denn Batterien sind Verschleißteile, denen vor allem niedrige Temperaturen zusetzen: „Gut sind beispielsweise zwei Jahre oder 1000 Ladezyklen.“Auch Ladezeiten unterscheiden sich teils erheblich.
Motor Die meisten E-Bikes fahren mittlerweile mit einem Mittelmotor, es gibt aber auch Räder mit Motoren an der Vorderoder Hinterradnabe. Der Vorteil des Mittelmotors liegt in den besseren Fahreigenschaften, denn im Bereich des Tretlagers sitzt er in der Nähe des Fahrradschwerpunktes.
Allerdings erfordert der Mittelmotor einen speziellen Rahmen, was das Rad teurer macht. Hinzu kommt: „Der Verschleiß von Kette, Ritzel und Komponenten der Kettenschaltung ist höher, weil die Motorkraft auf den Antrieb wirkt“, sagt Filippek. Frontund Heckantrieb schonen diese Komponenten und sind leiser, doch besteht die Gefahr, dass entweder das Vorderrad durchdreht oder das Fahrrad sich wegen des Mehrgewichts hecklastig fährt.
Andererseits wirkt die Kraft bei den Hinterradnabenmotoren direkt dort, wo sie gebraucht wird, und nur bei ihnen ist Rekuperation möglich – also die Energierückgewinnung beim Bergabfahren. Der Vorderradnabenmotor gilt laut Thomas Geisler vom Pressedienst Fahrrad (pd-f) als preisgünstige Einstiegslösung, weil er einfach zu integrieren ist.
Schaltung Neben Kettenund Nabenschaltung kommt als dritte Möglichkeit die Automatikschaltung hinzu, die Hersteller wie NuVinci oder Continental als eine mit einem Mittelmotor gemeinsam verkapselte und damit verschleißarme Einheit anbieten. Soll es ein Heckmotor sein, ist eine Nabenschaltung laut Hauck schwierig umzusetzen, denn die sitzt an der Hinterradnabe. Sportliche Biker, die viele Gänge benötigen, müssen in der Regel ohnehin auf eine Kettenschaltung zurückgreifen, die weit mehr Schaltstufen bietet.
Eine Ausnahme bilden die Nabenschaltungen von Rohloff oder Pinion, die es auch für E-Mountainbikes gibt. Nicht alle Fahrradhersteller arbeiten mit allen Komponentenherstellern zusammen, was die Suche nach der idealen MotorGetriebe-Kombination erschwert.
Bedienung Neben Schaltund Bremshebeln und der Klingel sollte auch das Display gut zu bedienen sein, rät Hauck. Bei der Bedieneinheit des Antriebs besteht eine gewisse Produktvielfalt: Vom einfachen Schwarz-Weiß-Display mit Basisfunktionen etwa für die Stufen der Tretunterstützung und die Akkustandsanzeige bis zum vollwertigen Gerät mit Navi und Digitalschnittstellen ist vieles zu haben.
Probefahrt Sich mit einem E-Bike vertraut zu machen, ist neben dem für Anfänger gewöhnungsbedürftigen Antrieb vor allem aufgrund des höheren Fahrradgewichts notwendig. Wer in den Fahrradkeller muss, wird mit 20 bis 30 Kilo viel zu tragen haben. „Um dafür eine Gefühl zu bekommen, ist eine Probefahrt eminent wichtig“, sagt ADFC-Experte Filippek. Um die Unterschiede verschiedener Motor- und Getriebekonzepte kennenzulernen, sollte am besten ein auf EBikes spezialisierter Händler aufgesucht werden. Laut VCDMitarbeiter Hauck überlassen diese interessierten Kunden oftmals ein Proberad für einen Nachmittag oder sogar 24 Stunden.
VCD und pd-f weisen mit Blick auf das erhöhte Unfallrisiko gegenüber dem muskelbetriebenen Radeln auch auf spezielle Fahrtechnikschulungen für E-Bike-Einsteiger hin. Eine große Bedeutung kommt den Bremsen zu, die beim schweren E-Bike besonders standfest sein sollten. Geeignet sind vor allem Hydraulikbremsen.
Preis René Filippek vom ADFC rät von Rädern unter 1800 Euro ab. Weil allein die Elektrokomponenten viel Geld kosteten, laufe man bei günstigeren Rädern, etwa von Discountern oder aus dem Baumarkt, Gefahr, dass die übrigen Fahrradkomponenten von minderwertiger Qualität sind. Bei S-Pedelecs mit einem 500 Watt statt 250 Watt starken EMotor nennt er eine Richtschnur von 2500 Euro.