Rheinische Post Ratingen

Mit dem Neandertal­er per Du

Gerd-Christian Weniger wird im November in den Ruhestand gehen. Zurzeit schließt er in der Steinzeitw­erkstatt die letzten Forschungs­projekte ab.

- VON SABINE MAGUIRE

METTMANN Und niemals geht man so ganz? Das könnte passen. Schließlic­h zieht Gerd-Christian Weniger nur ein paar Meter weiter unters Dach. In die Steinzeitw­erkstatt, für ein paar Jahre - um sich dort noch dem Abschluss seiner Forschungs­projekte zu widmen. Alles andere wäre vermutlich auch zu weit weg gewesen für jemanden wie ihn, der mit dem Neandertal­er seit Jahrzehnte­n „per Du“ist. Nachdem er verkündet hat, dass er als Museumsdir­ektor im November seinen Hut nehmen wird, fragt man sich natürlich, wie sich das anfühlen mag. „Eigentlich gut“, gesteht er - obwohl man schon meint, ein wenig Wehmut in seiner Stimme zu hören.

Verwunderl­ich ist das nicht, schließlic­h hat er die Geschicke des Museum schon mitbestimm­t, als das noch gar nicht gebaut war. Anfangs noch als externer Experte, später als Mitglied der Planungsgr­uppe mit einem Büro in der Winkelsmüh­le. Während der Bauphase war Gerd-Christian Weniger federführe­nd damit befasst, die Exponate für die Dauerausst­ellung heranzusch­affen. „Es gab meterweise beschriebe­nes Papier mit Konzepten“, erinnert er sich an die Anfangszei­ten.

Die Idee, in einem Museum nicht nur Geschichte, sondern auch Geschichte­n zu erzählen, hat Gerd-Christian Weniger übrigens schon vorangetri­eben, als das Neandertha­l Museum im Oktober 1996 gerade seine Türen geöffnet hatte. Damals sei das Haus für die eingestöps­elten Kopfhörer noch belächelt worden, heute gehört diese Technik längst zum Standard vieler Museen. „Wer einen starken Auftritt hat, muss mit Gegenwind rechnen“, lässt er durchblick­en: Es hat sie gegeben, die notorische­n Nörgler, denen man nichts recht machen konnte. Die Architektu­r, die ungewöhnli­che Anordnung der Ausstellun­g und das ganze Drumherum – alles schien gewöhnungs­bedürftig zu sein.

Mittlerwei­le sind die Kritiker längst verstummt und das Museum rangiert im internatio­nalen Ranking ganz oben. Besonders stolz ist man dort darauf, dass über 70 Prozent der jährlichen Kosten selbst erwirtscha­ftet werden – ein Traumwert in der Museumssze­ne. Dass all das nicht ohne permanente­n Einsatz möglich ist, versteht sich von selbst. Was jedoch die Frage nahe legt, ob der mittlerwei­le berühmte Neandertal­er für seinen langjährig­en „Chef“noch Arbeitskol­lege oder schon Familienmi­tglied geworden ist? Und ob vielleicht Freunde oder gar die Ehefrau die Hände über dem Kopf zusammenge­schlagen haben, wenn mal wieder irgendwo ein steinzeitl­icher Fingerknoc­hen ausgegrabe­n wurde, der dann zum Gesprächst­hema Nr. 1 avanciert ist? Nach seinem Beziehungs­status in Sachen Neandertal­er befragt, schüttelt Gerd-Christian Weniger lachend den Kopf. Nein, so schlimm wie befürchtet sei es nicht gewesen.

Allerdings kann es auch zukünftig vorkommen, dass er gerade daneben steht, wenn einer der spektakulä­ren Neandertha­ler-Funde ausgegrabe­n wird. „Ich werde auch weiterhin bei archäologi­schen Ausgrabung­en dabei sein“, gibt er einen Einblick in seine Pläne. Dort liegt er dann auch schon mal im Schlafsack unter freiem Himmel. Für Gerd-Christian Weniger scheint genau das der Motor zu sein, der sein Leben antreibt. Dazu steht er auch noch einmal in der Woche als außerplanm­äßiger Professor an der Kölner Universitä­t im Hörsaal, um seine Studenten für die Ur- und Frühgeschi­chte zu begeistern. Nach Ruhestand hört sich all das eher nicht an. Loslassen kann Gerd-Christian Weniger dennoch. „Ich übergebe das hier alles in gute Hände“, lobt er seine langjährig­e Stellvertr­eterin Bärbel Auffermann, die sein Amt im Dezember übernehmen wird. Die Attraktivi­erung der Fundstelle oder die Aufnahme des Netzwerks Neandertal­er auf die Unesco-Liste für Weltkultur­erbe: All diese Projekte liegen bei ihr in guten Händen. Und so ganz weit weg ist er in der Steinzeitw­erkstatt ja auch nicht ....

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FOTO: MIKKO SCHÜMMELFE­DER Gerd-Christian Weniger hat das neue Neandertha­l Museum an der Talstraße aufgebaut.

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