Bargeldrepublik Deutschland
Unser Autor schrieb kürzlich, man könne die digitale Rückständigkeit Deutschlands daran erkennen, wie häufig Urlauber im Ausland mit Bargeld bezahlen. Das sorgte für viel Kritik. Warum hängen so viele an Münzen und Scheinen?
DÜSSELDORF Die erste Mail kommt morgens um kurz nach acht Uhr: „Lieber Herr Rinke, ein anderer Aspekt, warum Deutsche im Urlaub mit Bargeld bezahlen, als digitale Rückständigkeit kommt Ihnen offenbar nicht in den Sinn. Wie wäre es mit digitalem Bewusstsein?“, fragt ein Leser. Vielleicht gäbe es Menschen, die nicht noch mehr Datenspuren im Internet hinterlassen wollten.
In einer Kolumne hatte ich zuletzt geschrieben, dass man Deutsche im Dänemark-Urlaub immer besonders gut daran erkennen konnte, dass sie in den Geschäften bar bezahlen. Dabei boten praktisch alle Läden Zahlungen per Karte oder sogar Smartphone an. These: Viele Deutsche (mich eingeschlossen) nehmen auch deshalb so viel Bargeld mit, weil sie so einen Service aus der Heimat nicht gewohnt sind. Aus meiner Sicht belegt dies die digitale Rückständigkeit unseres Landes – immerhin setzt das Angebot mobiler Bezahlmöglichkeiten beispielsweise auch häufig stabile und schnelle Netze voraus.
Viele Leser empörte diese Schlussfolgerung. Aus ihrer Sicht gibt es zahlreiche (gewichtigere) Gründe für die Verwendung von Bargeld, zum Beispiel die erwähnte Datensparsamkeit. Sie argumentierten in zahlreichen Zuschriften, dass sie vermeiden wollten, dass anhand ihres Kaufverhaltens Profile gebildet werden, die anschließend etwa zu Werbezwecken weiterverkauft werden. Und sie verwiesen darauf, dass die Kartenzahlung häufig mit mehr Kosten verbunden sei als die Barzahlung – weil etwa bei der Zahlung per Kreditkarte im Ausland eine Gebühr anfällt. Ein Leser argumentierte: „Solange der Händler den Großteil der Gebühren zu zahlen hat, wird jeder halbwegs gescheite Kaufmann bargeldloses Bezahlen zwar vorhalten, aber nicht aktiv bewerben.“
Ein Anderer schrieb, er kenne viele Menschen, die durch bargeldloses Bezahlen in die Schuldenfalle getappt seien. Bargeld erleichtere den Überblick über Einnahmen und Ausgaben. „Bargeld ist Anarchie und deshalb der Rückzugsort in einer durchdigitalisierten und kontrollierten Welt“, schreibt einer halb ironisch. Ein anderer Leser ergänzt: Durch rein elektronisches Geld sei man Negativzinsen oder anderen kapitalzehrenden Konstrukten schutzlos ausgeliefert. Zudem würde ein Bank-Run auf eine Bank, der die Insolvenz droht, durch elektronisches Geld unmöglich gemacht, während Bargeld diesen weiterhin ermöglichen würde. „Die Banken und Kreditkarteninstitute sind wieder mal die einzigen Gewinner des bargeldlosen Bezahlens“, so das Fazit.
Viele dieser Argumente sind gut und unbestreitbar richtig. Und weil das offenbar viele so sehen, ist Deutschland auch 2018 noch immer ein Bargeld-Land – und soll es auch bleiben. Laut einer Studie der Bundesbank wollen 88 Prozent der Menschen in Deutschland auch künftig weiter bar bezahlen (ich übrigens auch). Und deswegen werden Bücher wie „Rettet unser Bargeld“des Ökonomen Max Otte in Deutschland auch zu Bestsellern. Drei von vier Einkäufe wurden im vergangenen Jahr bar bezahlt. Münzen und Scheine sind seit Jahren das beliebteste Zahlungsmittel, vor allem kleinere Beträge bis 20 Euro wurden 2017 nahezu vollständig (88 Prozent) bar bezahlt.
Kein Wunder, dass die Menschen hierzulande so viel Bargeld mit sich herumtragen, wie in keinem anderen Land der Euro-Zone. 2016 sollen
Aussagen wie vom damaligen Deutsche-Bank-Chef John Cryan, in zehn Jahren werde es kein Bargeld mehr geben, von vielen als düstere Prophezeiung wahrgenommen werden.
Dabei hat Cryan ja wahrscheinlich nicht ganz unrecht. Denn die Welt wandelt sich durch die Digitalisierung ja immer rasanter, neue Unternehmen entstehen genauso wie neue Geschäftsmodelle. Und die Gewohnheiten der Menschen ändern sich auch durch das Internet: Kreditkarte, Lastschrift, Rechnung, Paypal, Sofortüberweisung, Gutschein – viele Händler bieten inzwischen fünf oder mehr Varianten an, wie man den Kaufpreis begleichen kann. Da wirkt es irgendwann befremdlich, wenn man in einen Laden kommt, in dem es heißt „Nur Bargeld“.
Viele Transaktionen, für die man früher Bargeld oder wenigstens einen Überweisungsträger benötigt hätte, können heute digital abgewickelt werden. Große US-Digitalkonzerne wie Google und Apple haben längst digitale Bezahlangebote geschaffen. Hinzu kommen Anbieter wie etwa das schwedische Klarna, das neue Bezahlmodelle für den Online-Handel entwickelt. Ein Bankkonto bei Sparkasse oder Volksbank benötigen Kunden möglicherweise künftig lediglich noch dafür, um das Geld von dort einziehen zu lassen.
Es ist natürlich nicht so, dass sich deutsche Geldinstitute darüber keine Gedanken machen. Aber Sparkassen und Co. haben sich mit der Entwicklung eigener digitaler Bezahlangebote wie Paydirekt (vielleicht zu viel) Zeit gelassen. Sie konnten sich diese Zurückhaltung auch leisten, weil die deutschen Kunden ja sowieso lieber weiter zum Geldautomat gingen. Eine repräsentative Untersuchung des IT-Branchenverbands Bitkom zeigte zuletzt, dass nur ein Drittel der deutschen Online-Banking-Nutzer über das Smartphone auch Überweisungen vornimmt. Die meisten prüfen lediglich ihren Kontostand.