Moonwalk ins Museum
Wie hat Michael Jackson die bildende Kunst beeinflusst? Eine Ausstellung in der National Portrait Gallery in London gibt Aufschluss. Am 22. März 2019 kommt sie nach Bonn.
LONDON Michael Jackson ist nun also im Museum angekommen, in der National Portrait Gallery in London, um genau zu sein, und wer von diesem Projekt mit dem Titel „On The Wall“hört, mag womöglich sofort dieses denken: So ein Quatsch! Ein Museum ist nämlich der total falsche Ort für diesen Kerl, der als Künstler die Schwerkraft überwand, mit seinem Moonwalk Menschen auf der ganzen Welt begeisterte und vielleicht überhaupt der letzte Weltstar war. Einer, der einen Basslauf und eine Melodie in die Köpfe von Menschen in Dithmarschen und Sao Paulo pflanzen konnte und sie aus der Ferne am Schnürchen eines Liedes durch den Tag führen konnte: „She told me her name was Billie Jean, as she caused a scene...“
All das denkt man allerdings nur solange, bis man in den hohen Hallen des ehrwürdigen Hauses die Skulptur des britischen Künstlers Appau Junior Boakye-Yiadom entdeckt. Sie besteht aus 20 mit Helium gefüllten Ballons, die ein Paar Slipper genau so hochhalten, dass die Schuhe auf den Spitzen stehen. „Ja, das ist Michael!“, denkt man. Das ist die Entsprechung seiner Lebensleistung. „Freeze“nannte er ja einst selbst diesen berühmten Tanzschritt, eine Bewegung, mit der er seinen Körper wider die Physik gleichsam einzufrieren imstande war.
Es ist nicht alles so hochwertig in dieser Schau, die im nächsten Jahr auch nach Bonn kommt, aber sie ist doch so angelegt, dass man ins Philosophieren kommt, dass man sich inspiriert fühlt und nachzudenken beginnt über das Superstartum, die Perfektion und – ach – das Menschliche im Allgemeinen.
So ist man denn auch völlig umgehauen von der Installation der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz. Sie hat 16 deutsche Fans aus unterschiedlichen Milieus alle Lieder des „Thriller“-Albums singen lassen und aus den Interpreten einen Chor kompiliert, der das komplette Album aufführt. Man sieht diesen Menschen zu, man ahnt, wie nahe sie sich in diesem Moment ihrem Star fühlen müssen, wie stark sie sich selbst vorkommen und wie sehr sie in der Musik geborgen sind.
In 14 Räumen ist Kunst von 48 Künstlern zu besichtigen. Jackson ist als Monster, Zombie, Erzengel, Regent und Heiliger zu erleben. Dringend als Reiseführer durch die Ausstellung sei jedem der Essay „Über Michael Jackson“von Margo Jefferson empfohlen. Die Autorin beschreibt sehr klug, wie Jackson sich selbst abhanden kam, wie er irgendwann nicht mehr unterscheiden konnte, ob seine Maskierungen nun Zuflucht waren oder Gefängnis, ob er noch Produzent war oder längst Produkt und ob das, was er symbolisierte, globaler Idealismus war oder globales Marketing.
Wer war Michael Jackson? Es gibt in London ein Bild, das 1984 in dem Magazin „Ebony“erschien. Es nimmt vorweg, wie Michael Jackson im Jahr 2000 hätte aussehen können. Mit dem Wissen derer, die Jackson in jenem Jahr dann tatsächlich als stark operiertes und erbleichtes Wesen erlebten, muss man nun sagen, dass die Fotoredakteure von damals ziemlich daneben gelegen haben. Jackson hat den Erwartungen nie entsprochen, genau das war ja sein Prinzip, er war der Popstar der flüssigen Moderne, er hielt alles im Fluss, unsere Vorstellung von Maskulinität ebenso wie die von Identität. Er war postmodern, postracial und beyond all. Er war nicht zu fassen.
Man sieht ein Foto des Nachttischchens von Liz Taylor, auf dem ein Foto Jacksons stand. Man sieht sein Dinnerjacket, an dem Dutzende kleine Gabeln und Löffel klimperten. Es gibt Arbeiten von Andy Warhol und Isa Genzken. Das berühmteste Kunstwerk mit Jackson in der Hauptrolle fehlt jedoch: „Michael Jackson and Bubbles“, diese vergoldete und unglaublich hässliche Porzellan-Skulptur von Jeff Koons aus dem Jahr 1988. Es ist ein bisschen so, als kuratiere man eine Ausstellung über die besten Fußballer Brasiliens und verzichte auf Pelé, schrieb ein englischer Kritiker. Das Werk war wohl nicht zu bekommen, also fungiert eine Fotografie des Objekts als Platzhalter.
Die Schau bietet viele Lesarten an: Michael Jackson als Bürgerrechtler vom Schlage einer Rosa Parks, eines Martin Luther King oder eines Malcom X. Michael Jackson als Heiland des Ostblocks, wie ein Video seines Konzerts in Bukarest 1992 nahelegt, wo die Menschen sich reihenweise in die Bewusstlosigkeit schrien, als Jackson über die Bühne zu schweben schien. Kehinde Wiley malte das letzte Porträt von ihm, das auf seine Anregung entstand. Es zeigt ihn so, wie Peter Paul Rubens im 17. Jahrhundert Philipp II. von Spanien gemalt hat, fürstlich ausstaffiert auf einem Pferd.
Er war viele, er war keiner, er war durchsichtig, er war ein Geist. 2009 ist er gestorben, gerade 50 Jahre alt.