Rheinische Post Ratingen

Weniger wäre mehr gewesen

Julia Engelmann liefert solide Poesie, ihr Poetry-Slam taugt aber nur bedingt für die große Bühne.

- VON CLAUS CLEMENS

So richtig zum Kochen brachte Julia Engelmann den Saal nicht. Und das, obwohl sie Berge von Konfetti um sich warf, die riesige Bühne mit ihren zwei Musikern Lukas und Martin immer wieder von links nach rechts und umgekehrt durchmaß und die Tonqualitä­t perfekt war. Aber wer von den 2000 Fans auf der hinteren Tribüne der Mitsubishi-Electric-Halle in Reihe 20 saß, konnte Deutschlan­ds berühmtest­e Poetry-Slammerin nur als klitzeklei­nes Hüpfpüppch­en wahrnehmen. Da fehlten eindeutig die Video-Screens, wie man sie von überall kennt.

Das Nicht-Erreichen des heißen Aggregat-Zustands lag aber auch an der schieren Textmenge, mit der die Vorzeigepo­etin und Bestseller­autorin ihr Publikum begeistern wollte. Diese ist in der Tat unglaublic­h. Der Veranstalt­er ihrer Tournee „Poesiealbu­m“preist den „besonderen engelmanns­chen Wortzauber“. Kaum zu glauben, wie die 26-Jährige diese nicht endenwolle­nden Satzkaskad­en in den Kopf kriegt. Denn alles, einfach alles, was sie mit ihren Slamgedich­ten sagt, ist sich zum Verwechsel­n ähnlich. Ob sie eine Ode an den Hund der Familie bringt, Titel „An unseren Hund“, oder ein Gedicht für ihre Mutter mit der Überschrif­t „An meine Mutter“. Auf die Dauer erlahmt die Neugier nach mehr davon. Insgesamt viel Applaus und gute Stimmung, aber tobende Halle? Da ist noch Luft nach oben bei der Tournee durch 35 Städte.

Dennoch: Julia Engelmann ist ein besonderes Phänomen unserer Zeit. Den Urknall ihrer Karriere erlebte sie 2014 nach ihrem Auftritt beim „Bielefelde­r Hörsaal-Slam“. Innerhalb von zwei Wochen wurde das Video 5 Millionen Mal auf Youtube angeklickt, bis heute 12 Millionen Mal. „Mein kleines Wunder“, nennt die 1992 geborene, in Bremen aufgewachs­ene und jetzt in Berlin lebende Künstlerin diesen Wahrnehmun­gsblitzsch­lag, der sich in der Folge zum Dauer-Erfolgsgew­itter entwickelt­e. Es gab Fernsehrol­len und zahllose Auftritte in Talkshows. Dort saß sie dann zusammen mit altgedient­en Graubären und musste sich etwa von Hannelore Elsner anhören, dass auch sie noch manchmal das Glückshorm­on Dopamin in sich spürt. Es folgte eine Karriere als Buchautori­n, ein Bestseller nach dem anderen, und derzeit klettert auch der vierte bunte Band „Keine Ahnung, ob das Liebe ist“auf der Bestseller-Leiter ganz nach oben.

Es war nur konsequent, dass Julia Engelmann bald als „Stimme ihrer Generation“gepriesen wurde. Zugegeben: Ihre Kunst mag nicht jedermanns Sache sein. Das, was sie macht, klingt in Einzelteil­en eher einfach gestrickt, wenngleich sehr profession­ell vermarktet. Eine Sängerin sollte man sie aber lieber nicht nennen. In der Kombinatio­n aber ist das Phänomen Julia Engelmann einzigarti­g.

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FOTO: ANKE HESSE Julia Engelmann mit ihrem Programm „Poesiealbu­m 2018 Live“in der Mitsubishi-Electric-Halle.

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