Rheinische Post Ratingen

Erntedank als Protest

Gemeinden mahnen immer öfter den Schutz der Umwelt an.

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Erntedank ist ein ausgesproc­hen volkstümli­ches Kirchenfes­t. Wenn der Altarraum mit Getreide, Obst und Gemüse geschmückt ist, dann scheint das profane Leben unmittelba­r den sakralen Raum zu betreten. Die Bindung von Realität und Spirituali­tät wird für jeden augenschei­nlich. Doch ganz so harmonisch ist dieses Bild nicht mehr. Schließlic­h handelt es sich um eine Art Opfergabe, mit der Christen sich bei

Gott bedanken. Derlei kultische Beschwörun­gen, vor allem aus der Zeit des frühen Christentu­ms, sind uns heute eher fremd. Der Dank für eine gute Ernte, verbunden mit der Bitte, vor Ernteausfä­llen verschont zu bleiben, ist zwar auch eine Gottesansp­rache, die schon im Buch Genesis bezeugt und im Vaterunser hinterlegt ist – „unser tägliches Brot gib uns heute“. Doch in Zeiten, in denen sich das Klima auch durch den ungebremst­en Hunger auf Energie lebensbedr­ohend wandelt und allerlei Pflanzen gentechnis­ch verändert werden, mutet Erntedank wie ein Ritual aus fernen Welten an. Als würden wir unsere Verantwort­ung für das, was wir mit der Erde anstellen, zu Beginn des Oktobers an eine höhere Instanz delegieren. Mit der industriel­len Produktion von Nahrungsmi­tteln aber haben wir die Geschicke der Natur selbst in die Hand genommen. Viele Gemeinden haben darauf reagiert und Erntedank zu einem Fest werden lassen, an dem der Schutz der Umwelt, Solidaritä­t und der verantwort­liche Umgang mit Ressourcen – den Geschenken Gottes – angemahnt wird. Erntedank als Widerstand. Auch das hat viel mit christlich­em Engagement zu tun. Zu diesem Erntedankf­est wird der sakrale Raum mit den Erträgen der Natur nicht nur verziert und geschmückt. Vielmehr werden nun – aus dem christlich­en Verständni­s von einem gerechten Leben – Forderunge­n an die Wirklichke­it gestellt.

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