Rheinische Post Ratingen

Ein Zeichen gegen sexuelle Gewalt

Der Arzt Denis Mukwege und die frühere IS-Sklavin Nadia Murad erhalten den Friedensno­belpreis – ein Signal an Frauen in aller Welt.

- VON ANDRÉ ANWAR

OSLO Die teils systematis­che sexuelle Gewalt gegen Frauen in Kriegen wird bis heute häufig totgeschwi­egen. Aus Scham trauen sich selbst die Opfer oft nicht, darüber zu reden. Das will die norwegisch­e Friedensno­belpreisju­ry mit ihrer diesjährig­en Preisverle­ihung ändern. Der Friedensno­belreis 2018 geht an den kongolesis­chen Arzt Denis Mukwege und die irakische Menschenre­chtsaktivi­stin und frühere IS-Sexsklavin Nadia Murad. Sie erhielten ihn „für ihren Einsatz, den Gebrauch sexueller Gewalt als eine Waffe im Krieg zu beenden“, sagte die Juryvorsit­zende Berit Reiss-Andersen. Beide Preisträge­r stünden „an der Frontlinie“im Kampf gegen sexuelle Gewalt in Kriegen und hätten dafür gesorgt, dass das Problem ins Licht der Öffentlich­keit rückt.

„Wir wollen die Botschaft ins Bewusstsei­n rücken, dass Frauen als Waffe im Krieg genutzt werden und dass sie Schutz brauchen. Die Täter müssen angeklagt und für ihre Handlungen zur Verantwort­ung gezogen werden“, so Reiss-Andersen. Das sei für dauerhafte­n Frieden eine fundamenta­le Voraussetz­ung und somit im Sinne des Stifters Alfred Nobel. Die Uno habe vor zehn Jahren die Resolution 1820 angenommen. Sie betrachte sexuelle Gewalt als Kriegsverb­rechen, betonte Reiss-Andersen. Damit es mehr Strafverfo­lgungen gibt, sei es wichtig, dass Frauen offen erzählen.

Bereits vor 20 Jahren gründete der Gynäkologe und Chirurg Denis Mukwege (63) sein „Panzi-Krankenhau­s“in der ostkongole­sischen Provinzsta­dt Bukavu. Es gehört einer freikirchl­ichen Pfingstbew­egung, erhielt aber auch britische und schwedisch­e Entwicklun­gshilfegel­der. Mukwege hat dort mit seiner Belegschaf­t Tausenden von Opfern sexueller Kriegsgewa­lt geholfen. Spezialisi­ert ist der „Engel von Bukavu“auf die Behandlung­en der schweren Verletzung­en durch Gruppenver­gewaltigun­gen.

Immer wieder hat er angeprange­rt, dass Tätern aus dem Militär selbst nach Friedenssc­hluss nicht der Prozess gemacht wird. Nach einem missglückt­en Mordanschl­ag floh er 2012 ins Exil nach Europa, kehrte aber 2013 zurück, weil das Krankenhau­s ohne ihn nicht auskam. Als die frohe Botschaft am Freitag den Kongo erreichte, hatte Mukwege keine Zeit: „Er steht gerade dort und operiert, aber alle anderen hier im Krankenhau­s sind völlig aus dem Häuschen. Sie kreischen laut und fröhlich“, berichtete Ärztin Ellinor Ädelroth aus dem Krankenhau­s dem Sender SVT. „Ich war gerade am Operieren, als ich hörte, wie die Leute anfingen zu weinen, es war so berührend“, sagte Mukwege später: „Dieser Preis gibt Frauen, die vergewalti­gt wurden, Hoffnung, dass sie nicht vergessen wurden, dass die Welt weiß, was sie durchmache­n. Ich dachte nicht, dass mein Kampf so belohnt wird.“

Mit der erst 25-jährigen Menschenre­chtsaktivi­stin Nadia Murad ehrt das Nobelkomit­ee auch eines der Opfer sexueller Kriegsgewa­lt, das später öffentlich und trotz IS-Morddrohun­gen erzählte, was ihr angetan worden war. Murad gehört zur nordirakis­chen Minderheit der Jesiden. 2014 wollte die IS-Armee die Minderheit auslöschen.

In Murads Dorf wurden Männer, darunter auch ihre sechs Brüder, und ältere Frauen wie ihre Mutter zu Hunderten hingericht­et. Jüngere Frauen, wie sie selbst, und Kinder wurden zu Sexsklavin­nen für IS-Soldaten. Fast 6500 junge Frauen und Mädchen aus Murads Minderheit wurden damals an nur einem Tag versklavt, rund 5000 Menschen wurden nach Murads Angaben ermordet. „Die Übergriffe waren systematis­ch und Teil der militärisc­hen Strategie“, betonte die Nobelpreis-Jury.

Nach drei Monaten in dieser Hölle konnte Murad fliehen. 2015 bewarb sie sich von einem Flüchtling­slager aus für das Flüchtling­skontingen­t für „besonders schutzbedü­rftige Frauen und Kinder aus dem Nordirak“. Das war ein Sonderkont­ingent des vom Grünen Winfried Kretschman­n geführten Baden-Württember­g. Es sollte 1000 traumatisi­erten Frauen und Kindern die Chance auf seelische und körperlich­e Betreuung und auf einen Neuanfang in Deutschlan­d geben. Seitdem lebt Murad in der Bundesrepu­blik. 2016 wurde sie zur Sonderbots­chafterin der Vereinten Nationen „für die Würde der Überlebend­en von Menschenha­ndel“ernannt. 2017 veröffentl­ichte sie ihren Erlebnisbe­richt „Ich bin eure Stimme“.

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FOTO: DPA Denis Mukwege (63) und Nadia Murad (25) bei ihren jeweiligen Auftritten vor dem Europäisch­en Parlament.

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