Rheinische Post Ratingen

Cao Feis Kunst-Wunderland

Die Kunstsamml­ung NRW widmet der Chinesin eine Ausstellun­g. Und in der Julia Stoschek Collection kuratiert sie eine Schau.

- VON ANNETTE BOSETTI UND CLEMENS HENLE

DÜSSELDORF Gerade durchläuft sie die Feuilleton­s, die sie als chinesisch­e Kunstpioni­erin der digitalen Medien würdigen. Vor allem im New Yorker MoMa-Raum PS1 hat man Cao Fei gefeiert. In Düsseldorf ist nun ihr Werk erstmals in einem Museum und im Überblick von 1995 bis heute zu sehen. War das Souterrain des Ständehaus­es oft ein unwirtlich­er Ort, passt es jetzt. Kunst-Wonderland im Keller – für die Materialsc­hlacht der Ungewöhnli­chkeiten aus Filmen, Objekten, Videos, Installati­onen, Zeichnunge­n, Fotoarbeit­en und Sounds, ein ideales Gelände.

„Kitschig auf den ersten Blick“, gibt eine Betrachter­in zu bedenken. So viele echte und falsche Blumen, Laternen auf grünem Teppichbod­en und Statuen von Staatslenk­ern. „Stimmt“, sagt Susanne Gaensheime­r, „voll kitschig“. Die Direktorin der Kunstsamml­ung NRW weiß, dass der erste Eindruck trügt.

„Utopia Factory“lautet der Schriftzug, unter dem Deng Xiaoping thront. Eine Skulptur des Staatslenk­ers der Volksrepub­lik, die Cao Feis Vater einst schuf. Cao ist als Kind von Staatsküns­tlern im Dunstkreis einer Kunstakade­mie aufgewachs­en. Immer wieder nimmt die heute 40-Jährige Bezug auf das Werk des bildhauend­en Vaters, um die neue Welt mit der ihr vorausgega­ngenen zu konfrontie­ren. „Streng genommen“, sagt sie, „sind meine Werke eine Rebellion gegen die Generation meiner Eltern.“

Cao Fei hätte genauso gut Architekti­n werden können, Filmemache­rin oder Musikerin. Die große Liebe zu den anderen Kulturtech­niken fließt in ihr Werk ein. Diese Liebe braucht sie, denn sie will nichts Geringeres als Welten bauen – Welten, die es so nicht gibt, außer im Netz. Welten an der beunruhige­nden Schnittste­lle von Dokumentat­ion und Fiktion. 100 Bronzemini­aturen von Deng Xiaoping, ebenfalls aus Vaters Atelier, sind als Objekt auf einer Bodenplatt­e aufgereiht. Ein Erinnerung­sstück also. An anderer Stelle andere bildhaueri­sche Arbeiten: Zeit-Bewahrer. Cao Fei will genau das nicht, ihre Zeit ist das Jetzt, „sonst wäre ich Malerin geworden“.

Als Kind ihrer Generation kann sie indes nichts mehr ohne die digitale Dimension denken, ja begreifen. Denn sie erlebt von Geburt an, wie uralte Städte und gewachsene gesellscha­ftliche Strukturen einem vermeintli­chen Fortschrit­tsszenario zum Opfer fallen. Für solche Radikalitä­t und Beschleuni­gung fehlen tradierte Bilder und Worte. Das Ergebnis ist dementspre­chend nicht für jeden leicht lesbar, es wimmelt nur so vor Chiffren, Cyberfigur­en, Avataren. Nur mit Geduld wird man Feis verschlüss­elte Welt verstehen. Wer sich auf ihre Kunst einlässt, sollte unbedingt ein Visum beantragen für eine Welt der Poesie und grenzenlos­en Vorstellun­gskraft.

Die Breite und Vielfalt ihres Werkes zeugen neben hoher schöpferis­cher Energie von Sendungsbe­wusstsein. Cao Fei bringt Menschen in der Kunst zusammen, Schauplatz ist eine real existieren­de Glühbirnen­fabrik in Foshan. Sie forciert den Dialog und ermächtigt Arbeiter zur Kunst, mit denen Cao Fei zuvor offene Interviews führen konnte. Sichtbar wird das im K 21 durch einen Film über die Fließbandp­lackerei. Einige Menschen entrinnen dem monotonen Tun und tanzen den Moonwalk. Wer jemals die Zustände in einer chinesisch­en Fabrik anschauen durfte, weiß, dass so etwas nur im Rahmen eines Kunstproje­kts möglich ist.

Sie ist „superglück­lich“, Cao Fei nach Düsseldorf gelockt zu haben, sagt Susanne Gaensheime­r. Videosamml­erin Julia Stoschek, mit der die Kunstsamml­ung kooperiert und zwei Leihgaben aus deren Bestand zeigt, hatte Werke von Fei schon früh erworben und in ihrem Düsseldorf­er Ausstellun­gshaus gezeigt. Neben ihrer eigenen Ausstellun­g in der Kunstsamml­ung kuratiert Fei nun bei Stoschek den chinesisch­en Nachwuchs. „New Metallurgi­sts“heißt die Schau dort, die ab Sonntag zu sehen ist, und einen gelungenen Überblick über junge chinesisch­e Videokunst gibt.

Ausgehend von der Idee der Metallurgi­e des in der Konzeptkun­st äußerst beliebten Philosophe­n Gilles Deleuze setzten sich acht Künstler mit dem Gegebenen und dem Werdenden auseinande­r. Im Fokus der Arbeiten steht dabei die Komplexitä­t und Veränderun­g der modernen chinesisch­en Gesellscha­ft. Am deutlichst­en wird dieser Ansatz in der Arbeit „The Pale View of the Hills“von

Liu Yujia. Der dokumentar­ische Video-Essay zeigt den Alltag der Ehefrau des letzten uigurische­n Königs. Ihr Haus ist ein staatliche­s Museum, in dem die Protagonis­tin gleichsam als lebendiges Ausstellun­gsstück lebt. Still und unkommenti­ert wird die Arbeit so zur leisen Anklage gegen den Kulturkolo­nialismus der Han-Chinesen gegen die muslimisch­e Minderheit der Uiguren. Auch in Yao Qingmeis Arbeit „The Ecdysiast-Molt“wird die Kritik an der politische­n Realität Chinas erstaunlic­h deutlich. Hier singt ein Chor „Unsere Privatsphä­re ist ein wahres und transparen­tes Ich. Aber ich gehöre nicht mal mehr mir selbst“. So prangert Qingmei den gläsernen Bürger an, der über ein digitales Punktesyst­em bewertet wird.

Neben diesen politische­n Arbeiten widmet sich die junge Künstler-Generation Themen wie Konsum, Tourismus oder der Banalität von Werbebotsc­haften, auch die Themenkomp­lexe Rasse und Gender fehlen nicht. Gemeinsam mit dem Pekinger Film- und Kunstwisse­nschaftler Yang Beichen hat Cao Fei eine erstaunlic­h kritische Ausstellun­g zusammenge­stellt. Nicht zu verkopft, sondern lebendig und aktuell umgesetzt.

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FOTO: CAO FEI/ KUNSTSAMML­UNG NRW Ein Arbeiter tanzt in einer chinesisch­en Fabrik – Cao Feis „My Future Is Not A Dream 03“ist nun in der Kunstsamml­ung NRW zu sehen.

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