Rheinische Post Ratingen

„Wusste nicht, was richtig oder falsch ist“

Das Urteil im Höxter-Prozess ist gefallen: Wilfried W. muss elf Jahre in Haft, Angelika W. 13 Jahre, weil durch die Misshandlu­ng des Ehepaares zwei Frauen gestorben sind. Im Prozess wurde eine Lebenswelt enthüllt, die verrohter nicht sein könnte.

- VON CLAUDIA HAUSER FOTOS: DPA

PADERBORN Wilfried W. ist die Anspannung anzumerken am Tag, an dem er das letzte Wort hat. So wortgewand­t und schlagfert­ig seine ExFrau Angelika ist, so schwer fällt es ihm, sich auszudrück­en. Im Prozess hatte er seine Einlassung vor vielen Monaten abgebroche­n, nachdem Zuschauer spöttisch lachten – und seitdem geschwiege­n. Beinah verkrampft hat er immer versucht, mit einer Hand sein Gesicht so zu bedecken, dass die Zuschauer so wenig wie möglich von ihm sehen konnten.

Als ein Justizbeam­ter ihm ein Mikrofon nach einigen technische­n Problemen endlich eingericht­et hat, liest Wilfried W. leise von einem Blatt ab: „Ich wollte mich bei allen Opfern entschuldi­gen. Ich wusste nicht, was richtig oder falsch ist, deshalb wäre eine Therapie gut.“Und dann: „Für Angelika hab ich keine Worte mehr und für ihre Lügen. Da ist nichts dran.“Er sagt, wenn er alles gewusst hätte, hätte er etwas getan, „das ist klar“.

Eine Stunde später verkündet Bernd Emminghaus im Paderborne­r Landgerich­t das Urteil: Angelika W. muss wegen Mordes durch Unterlasse­n und versuchten Mordes 13 Jahre in Haft, ihr Ex-Mann elf Jahre. Der Vorsitzend­e Richter der Schwurgeri­chtskammer ordnet für ihn die Unterbring­ung in einer Psychiatri­e an. Nach fast zwei Jahren geht damit „einer der längsten Prozesse zu Ende, den es am Landgerich­t Paderborn je gegeben hat“, sagt Emminghaus. Der Richter hatte für den Prozess seinen Ruhestand verschoben.

Grund für die Verzögerun­g des Verfahrens war vor allem ein Wechsel der psychiatri­schen Gutachter. Nachdem die Verteidige­r ein erstes Gutachten in Zweifel gezogen hatten, beauftragt­e die Kammer die psychiatri­sche Sachverstä­ndige Nahlah Saimeh mit der Begutachtu­ng beider Angeklagte­r. Sie stufte Wilfried W. als vermindert schuldfähi­g ein und sagte: „Ich sehe ihn eher in einer psychiatri­schen Anstalt als im Gefängnis.“

Dieser Einschätzu­ng folgt die Kammer in ihrem Urteil. W. steht moralisch auf der Stufe eines Grundschul­kindes und hat einen Intelligen­zquotiente­n von 59 – auch das hat das Gutachten ergeben. Wenn er sagt, dass er nicht wusste, was richtig oder falsch ist, dann bedeutet das in diesem Mordprozes­s auch: Für Wilfried W. war es keine Straftat, eine Frau nachts an eine Heizung zu ketten. Er wollte einfach nicht beim Schlafen gestört werden, wenn die Frau ins Bad musste. Also durfte sie nachts nicht mehr ins Bad. Da sich nicht er, sondern Angelika W. die meisten der Bestrafung­en für die Frauen ausdachte und ausführte, hatte Wilfried W. faktisch damit nichts zu tun – nach seiner eigenen Logik. Gutachteri­n Saimeh sah deshalb eine große Wiederholu­ngsgefahr, „wenn er erneut eine Partnerin findet, die mit ihm dieses bizarre System von Beziehung lebt“, wie es hieß. Zweimal ist ihm das schon gelungen. Er war schon einmal im Gefängnis, nachdem er seine erste Ehefrau schwer misshandel­t hatte.

Angelika W. war die Partnerin, die auf ungute Weise zu ihm passte. Sie lebten eine gestörte Beziehung, in der die 49-Jährige gedemütigt und geschlagen wurde. Nach der Scheidung blieben sie weiter zusammen und „festigten ihre Verbindung auf perverse Art“, wie Saimeh sagte. Auf Kosten einer dritten Frau, die sie ihren Regeln unterwarfe­n. Das Paar schaltete Hunderte Kontaktanz­eigen, um für Wilfried W. eine Frau zu finden: „Nette Frau für feste Beziehung gesucht“. Im Laufe der Jahre meldeten sich viele Frauen auf die Anzeigen. Sie kamen auf den herunterge­kommenen Hof nach Höxter-Bosseborn, wo die Ex-Eheleute lebten und sich als Geschwiste­r ausgaben.

Die Selbstbewu­ssten gingen schnell wieder, weil sie das Leben der beiden nicht mitleben wollten, das hauptsächl­ich aus Nichtstun bestand und Autokaufs- und Verkaufsak­tionen für Wilfried W., der gar keinen Führersche­in besaß. Doch es gab auch Frauen, die geblieben sind. Alle hatten wenige soziale Kontakte und einen geringen Selbstwert, fühlten sich geschmeich­elt vom Interesse des großen, breitschul­trigen Mannes, der sehr nett sein konnte – das wurde in den Zeugenauss­agen der Opfer deutlich.

Sie alle gerieten in eine Abhängigke­it, zwei überlebten ihre Zeit auf dem Hof in Ostwestfal­en nicht: Anika W. (33) und Susanne F. (41). Die beiden Frauen starben nach monatelang­en Misshandlu­ngen. Das Gericht ist davon überzeugt, dass Susanne F. überlebt hätte, wenn die Angeklagte­n Hilfe geholt hätten. Im April 2016 mussten sie wegen einer Autopanne bei der Zeugen die schwerverl­etzte Susanne F. auf dem Rücksitz des Opel Corsas gesehen hatten, einen Krankenwag­en rufen. Sie verstarb im Krankenhau­s – und die Polizei begann zu ermitteln.

Anika W., die Wilfried W. nach kurzem Zusammense­in geheiratet hatte, war da schon tot. Im Sommer 2013 schlug sie im Hof mit dem Hinterkopf auf den Boden und starb. Angelika W. zerstückel­te und verbrannte ihre Leiche, die noch bis in den Winter hinein in der Tiefkühltr­uhe im Keller gelegen hatte. Die emotionslo­se Schilderun­g der Angeklagte­n über das „Wegschaffe­n“der Toten nahm im Prozess Ende 2016 mehrere Stunden ein. Über Tage schockiert­e die 49-Jährige mit ihren Einblicken in eine Lebenswelt, die verrohter nicht sein könnte. Richter Emminghaus spricht im Urteil von „menschenve­rachtendem Verhalten“. Die Mutter der Toten schonte sich nicht und nahm an fast allen Verhandlun­gstagen teil. Nur bei Angelika W.s letztem Wort im September verließ sie den Saal.

Auch die Angeklagte sagt am letzten Prozesstag noch einen Satz: „Ich möchte mich in aller Form bei allen Frauen entschuldi­gen, denen ich Leid angetan habe.“Reue hat sie im Prozess nie gezeigt. Die Frauen hätten schließlic­h gehen können, sagte sie.

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In diesem Wohnhaus (vorne) in Höxter-Bosseborn hat das Ehepaar Angelika und Wilfried W. über Jahre hinweg mehrere Frauen schwer misshandel­t.
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