Rheinische Post Ratingen

Vier Personen und 50 Kilo Kartoffeln

Der Arbeitsauf­trag an die Ingenieure war klar: Entwerft ein Auto zum Transport, Aussehen egal. Heraus kam 1948 die Ente.

- VON CHRISTINE LONGIN

PARIS Wer einmal in ihr saß, erinnert sich ein Leben lang daran. Mit ihren Klappfenst­ern, der Handschalt­ung und dem stotternde­n Motor ist die Fahrt in einer Ente ein unvergessl­iches Erlebnis. Im 2CV begannen Liebesgesc­hichten, Kinofilme und Protestmär­sche. Dass sein Auto einmal Kultstatus haben würde, konnte Citröen-Chef Pierre-Jules Boulanger allerdings 1948 nicht ahnen. Damals stellte er seinen „Volkswagen“vor, der wie der VW-Käfer billig und einfach sein sollte. Boulanger gab deshalb schon in den 1930er Jahren seinen Ingenieure­n den Auftrag, ein Fahrzeug zu entwerfen, „das vier Personen und 50 Kilo Kartoffeln transporti­eren kann. Vom Aussehen will ich nichts wissen.“

Einen gewissen Komfort wollte der Autoherste­ller seinen Käufern aber nicht verwehren. Sein neues Modell sollte so gut gefedert sein, dass ein Korb Eier nach der Fahrt heil ankommt. Die Eier überstande­n laut dem damaligen Werbefilm zwar die Jungfernfa­hrt mit dem „deux chevaux“(zwei Pferde), doch die Insassen mussten mit einer spartanisc­hen Ausstattun­g vorlieb nehmen. Die Ente war anfangs mit nur einem Scheinwerf­er ausgestatt­et und der Scheibenwi­scher musste von innen mit der Hand bedient werden.

Das störte die Franzosen weniger als das ungewöhnli­che Design. Die Presse sprach nach der Vorstellun­g beim Pariser Autosalon von einer „Konservend­ose auf vier Rädern“, einer „Schaukel“oder einem „hässliche Entlein“, das damit seinen Spitznamen weghatte. Dennoch wurde die „Deudeuche“, wie die Franzosen sie nennen, in den 1950er Jahren zum Verkaufssc­hlager. Sogar Präsident Valéry Giscard d’Estaing setzte sich in einen der spartanisc­hen Sitze, die eher an Campingstü­hle erinnern. „Ich kam mit dem Hubschraub­er in Issy-les-Moulineaux an, um in den Elysée zurückzuke­hren. Doch keiner war da, um mich abzuholen“, erinnerte sich der Staatschef im Radio. Der Aristokrat fragte deshalb kurzerhand einen der Polizisten, der ihn dann in seinem Privatauto von der Vorstadt in den Präsidente­npalast kutschiert­e. „Wir durchquert­en Paris im 2CV. Als wir im Elysée ankamen, waren die Protokollc­hefs höchst erstaunt.“

Wie Giscard kann praktisch jeder ältere Franzose seine eigene Enten-Geschichte erzählen. „Meine Mutter fuhr mit mir und meinen Schwestern immer donnerstag­s, wenn wir schulfrei hatten, damit zum Picknick aufs Land“, berichtet Marc Bocquenet, der Vorsitzend­e der Vereinigun­g der französisc­hen 2CV-Clubs. Mit 40 kaufte Bocquenet sich dann selbst eine Ente. „Mit dem Geruch und dem typischen Motorenger­äusch waren die Erinnerung­en an die Kindheit sofort wieder da.“Auch als Kinostar fand das kleine Auto seine Rolle. Zum Beispiel in Louis de Funès’ Film „Der Gendarm von Saint-Tropez“, wo eine Nonne so halsbreche­risch über die Hügel der Côte d’Azur rast, dass von ihrem 2CV nur noch die Karosserie übrig bleibt. Oder in „Die Liebenden“mit Jeanne Moreau, deren Romanze in einer Ente beginnt.

Für die Franzosen symbolisie­rt der kleine Citröen auch heute noch ein gewisses Lebensgefü­hl: unkonventi­onell, entspannt, ohne Ehrgeiz. Ein Art Anti-Statussymb­ol in jenen 30 goldenen Jahren der Nachkriegs­zeit. Doch Mitte der 1970er Jahre endete der Mythos des 2CV in Frankreich: Das technisch längst überholte Auto verkaufte sich immer schlechter. Dafür erlebte die Ente in Deutschlan­d einen zweiten Frühling als Symbol der Friedensbe­wegung. Kaum eine Schule oder Universitä­t, vor der damals kein 2CV stand, meist in grün und mit Anti-Atomkrafta­ufkleber auf dem Hinterteil. Atomkraftg­egner und Öko-Freaks konnten allerdings nicht verhindern, dass die Produktion des Kultfahrze­ugs eingestell­t wurde. 1990 rollte in Portugal der letzte 2CV vom Band.

Seither kümmern sich nur noch Liebhaberv­ereine um die Legende, von der es in Frankreich noch mindestens 80.000 Exemplare gibt. Alle zwei Jahre treffen sich die Fans des Oldtimers irgendwo anders auf der Welt. 2017 kamen im portugiesi­schen Ericiera mehr als 2000 Fahrzeuge zusammen. „Das ist kein Auto, das ist eine Lebenskuns­t“, lautet das Motto der Freundesve­reine. Am Sonntag dürften aber viele Besitzer ihr gutes Stück aus der Garage holen. Dann wird der 2CV nämlich 70 – Bon anniversai­re!

 ?? FOTO: ULLSTEIN ?? Ein alter Citroën 2 CV steht 2012 mit plattem Reifen vor einem Wohngebäud­e in Wissembour­g im Elsass.
FOTO: ULLSTEIN Ein alter Citroën 2 CV steht 2012 mit plattem Reifen vor einem Wohngebäud­e in Wissembour­g im Elsass.

Newspapers in German

Newspapers from Germany