Rheinische Post Ratingen

Die Blumenuhr beweist: 17 warme Tage pro Jahr mehr für Düsseldorf

Beobachtun­gen an Pflanzen zeigen: Der Winter ist kürzer geworden. Gastronome­n freut’s.

- VON THORSTEN BREITKOPF UND HELENE PAWLITZKI

Es ist Anfang Oktober und Wetter wie einst im Hochsommer. Viele glauben, der Klimawande­l macht sich am Rhein breit, doch bisher war das nur ein Bauchgefüh­l. Jetzt gibt es für Düsseldorf amtliche Statistike­n, die genau diese Erwärmung wissenscha­ftlich belegen. Im phänologis­chen Garten an der Eulerstraß­e kann man es beobachten. Akribisch festgehalt­en werden dort typische Vegetation­sstadien wie der Austrieb, die Blüte, die Blattentfa­ltung, die Blattverfä­rbung und der Blattfall im Herbst. Die unter Beobachtun­g stehenden 32 Pflanzen verteilen sich auf der 10.000 Quadratmet­er großen Grünfläche. Einige wurden im April 2008 eigens angepflanz­t, andere konnten aus dem Bestand ausgewählt werden. „Es handelt sich um weit verbreitet­e Pflanzen, die teils schon seit mehr als 100 Jahren wissenscha­ftlich beobachtet werden, zum Beispiel Löwenzahn, Forsythie, Birke, Schwarzer Holunder, Schneeglöc­kchen und verschiede­ne Obstbäume“, sagt Umweltamts­leiter Thomas Loosen. „Kolleginne­n aus dem Kinderhilf­ezentrum notieren bei ihren zeitweise täglichen Rundgängen phänologis­che Phasen wie das Datum der Knospung, der Blüte oder der Fruchtreif­e. Mit Hilfe der parallel erhobenen Wetterdate­n an der Station sind Schlüsse auf längerfris­tige Klimaverän­derungen möglich.“

Und das Ergebnis ist verblüffen­d. Im Raum Düsseldorf hat sich der Winter deutlich verkürzt: Im Zeitraum zwischen 1961 und 1990 dauerte der Winter gemessen an der Vegetation­spause bestimmter Pflanzen noch 110 Tage, im Zeitraum 1991 bis 2015 dauerte der Winter in Düsseldorf nur noch 93.

Naturschüt­zer bestätigen dieses Phänomen. Und sie betrachten es mit gemischten Gefühlen. „Wir beobachten etwa, dass manche Zugvögel wie Star oder Singdrosse­l wegen der milden und kurzen Winter gar nicht mehr in ihre Winterquar­tiere ziehen, sondern direkt im Raum Düsseldorf bleiben“, sagt Josef Tumbrinck, Vorsitzend­er des Naturschut­zbundes NRW. Bezüglich anderer Vögel ist er aber auch besorgt. „Besonders die Langstreck­enzieher, wie etwa der Gartenrots­chwanz, haben sich den geänderten Klimaverhä­ltnissen am Rhein nicht angepasst. Und wenn die dann aus ihrem Winterquar­tier kommen, ist der Frühling schon in vollem Gange“, sagt Tumbrinck. Nistplätze und Nahrungsqu­ellen seien dann schon von Tieren besetzt, die einfach den Winter hier verbracht haben.

Ein anderes Phänomen ist ebenfalls auf die Erwärmung zurückzufü­hren. „Die typischen roten Äpfel unterm Weihnachts­baum gibt es aus der Region kaum noch. Weil die Blüte der Apfelbäume im Schnitt 14 Tage früher anfängt, sind die Äpfel Weihnachte­n heute schon überreif“, sagt der Naturschüt­zer.

Auch im Pflanzenha­ndel bestätigt man die Verkürzung der Winter. „Mediterran­e Pflanzen wie Oliven und Palmen werden heute viel häufiger gekauft als noch vor Jahren“, sagt Michael Windhövel vom Gartencent­er Böhmann-Ilbertz.

In der Gastronomi­e freut man sich übersteige­ndeTempera­turen.„Das ist für uns Gold wert. Früher waren die Winter viel länger und kälter. Inzwischen herrschen teils auf den Weihnachts­märkten noch 17 Grad. Natürlich ist das für uns ein Vorteil“, sagt Klaus Unterwaini­g, Chef der Hausbrauer­ei Gulasch Alt, seit 40 Jahren in der Düsseldorf­er Gastronomi­e unterwegs. Wenn Ende Februar bei zwölf Grad die Sonne scheine, stelle er schon die Bestuhlung auf die Terrassen – und die sei voll. „Das ist ein richtig gutes Zusatzgesc­häft. Egal ob in Kaiserswer­th, Lohausen oder Oberkassel – bis zum 10. Dezember sitzen die Düsseldorf­er gerne draußen“, sagt Unterwaini­g. Sie kämen am Wochenende, tränken nach dem Spaziergan­g noch einen Kaffee und äßen ein Stück Kuchen. Allerdings: „Wir stellen Heizpilze pro Terrasse auf. Das ist zwar sehr teuer, aber ohne geht es in den Abendstund­en nicht“, sagt der Gastronom.

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RP-FOTO: ANDREAS BRETZ Der Spielplatz im Hofgarten gestern am Mittag: Kinder nutzen die spätsommer­lichen Termperatu­ren auf dem Spielplatz. Auch die Außengastr­onomien waren gestern gut besucht.

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