So war die Stadt in der Weimarer Republik
Neun angehende Verwaltungsfachangestellte haben historische Stationen herausgearbeitet. Daraus ist ein Buch entstanden.
RATINGEN Großer Auftrieb im Medienzentrum: Alle neun Studierenden sind gekommen, um ihr Buch vorzustellen, die Professorin und all die Ratinger sind da, die an der Realisierung des Projekts beteiligt waren: „Stadtrundgang: Ratingen in der Weimarer Republik. Chancen und Risiken der Demokratie vor Ort“ist der etwas sperrige Titel der Publikation.
Die Ausrufung der „Weimarer Republik“am 9. November 1918 ist nach 100 Jahren fast in Vergessenheit geraten. Im Rückblick gilt diese erste Demokratie in Deutschland, die nur 15 Jahre andauerte, als gescheitert, weil sie unter großen politischen und wirtschaftlichen Problemen zu leiden hatte und schließlich in die Diktatur des Nationalsozialismus mündete.
In einem gemeinsamen Projekt des Stadtarchivs und der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung, Duisburg, haben neun Studierende versucht, eine Antwort auf die Frage: Stand das Scheitern der Weimarer Republik von vorne herein fest, oder gab es nicht doch Chancen auf eine Verwirklichung? zu finden. Antworten haben sie in der Stadtgeschichte Ratingens gesucht, unterstützt auch vom Ratinger Heimatverein, und dazu einen Stadtrundgang erarbeitet, der bei seiner einmaligen Durchführung 2017 auf großes öffentliches Interesse stieß. „Über 80 interessierte Bürger sind damals gekommen“, erinnert sich Stadtarchivarin und Bibliotheksleiterin Erika Münster-Schröer.
So entstand die Idee, den Stadtrundgang in einer Broschüre, die die Erzählstationen in der heutigen, aktuellen Perspektive zeigt, allen Interessierten zugänglich zu machen. In dem kleinen Buch finden sich 15 Stationen eines Stadtrundgangs, an denen Geschichte erlebbar wird. „Wir wollen nicht immer nur Projekte in Duisburg umsetzen, sondern gerne auch im Umland“, sagt Professorin Sabine Mecking. Und so kam es, dass ihre Studenten mindestens zehn Wochen – so lange hatten sie Zeit – ständig auf historischer Spurensuche in Ratingen waren. Im Stadtarchiv fanden sie das Werk des pensionierten Geschichtsund Lateinlehrers Hermann Tapken: Ratingen in der Weimarer Republik vom Ende des Krieges 1918 bis zur nationalsozialistischen „Machtergreifung“Band 1 (erschienen 2015). Das umfangreiche Werk steckt voller fleißig zusammengetragener Quellen, ist aber für den Nicht-Historiker eine echte Herausforderung.
Die Stationen des Stadtrundgangs dagegen sind Geschichte häppchenweise. Beispiel: Der Ehrenfriedhof, Lintorfer Straße/Friedhofstraße. Dort steht seit 1961 das Mahnmal für die Kriegsopfer. 1926, anlässlich der 650-Jahr-Feier der Stadt, wurde dort ein höchst umstrittenes Kriegerdenkmal eingeweiht. Die Studentin hält ein eingeschweißtes Foto dieses Denkmals hoch: Man sieht einen sitzenden Mann auf einem Sockel, bekleidet nur mit Helm und Laken, in der rechten Hand ein Schwert. Ein ziemlich matter Krieger, der später von den Nazis als zu wenig heldenhaft abgelehnt wurde. Ein ungewöhnliches Kriegerdenkmal für die damalige Zeit, versehen mit dem Spruch: „Den Tapferen, die für uns starben.“Umstritten war es, im Rat stimmten 13 Mitglieder dafür und 13 dagegen, es in Auftrag zu geben.
Nur die Stimme des damaligen Bürgermeisters gab den Ausschlag, es zu bauen. Insbesondere die Arbeiterschaft hätte es vorgezogen, das Geld für die Unterstützung der Hinterbliebenen zu verwenden. Alt ist das Kriegerdenkmal nicht geworden: 1945 wurde es bei einem Fliegerangriff zerstört.
Weimar in Ratingen: Das war auch die Ruhrbesetzung 1926, als „500 französische Soldaten, 80 Offiziere und 30 Pferde in der Stadt eintrafen und untergebracht werden mussten, zum Beispiel in der damaligen Gaststätte Strucksberg (jetzt Parfümerie Douglas), Oberstraße 12. Dass der beliebte Saal Strucksberg nun ein Soldatenquartier war, führte zu Protesten der Bevölkerung. Die Anfänge der Nazis in Ratingen waren bescheiden: Dort, wo heute ein Tattoo-Studio residiert (Bahnstraße 16), hatte damals ein Polsterer sein Geschäft. Als er 1931 ein großes Hitler Bild in sein Schaufenster stellte, hagelte es Proteste. Bei ihm trafen sich die ersten Ratinger Nazis, die ab 1932 auch eine Zeitung herausgaben: den „Nazi-Sozi“.