Rheinische Post Ratingen

Der Tanz mit der Kugel

Der Flipper fristet ein Nischen-Dasein. Zu unrecht, sagt Dennis Göttel. Lässt sich anhand des Geräts doch Kulturgesc­hichte erzählen.

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Flippern ist nichts für Leisetrete­r. Einmal von der stählernen Feder abgefeuert, schießt die Kugel rasant über die Rampe ins Spielfeld, lässt es klingeln, rattern und blinken, wird erneut hochkatapu­ltiert, sorgt, je nach Sichtweise, für eine Kakophonie aus Bimmeltöne­n oder den Sound der Sieger, bis sie allen hektisch wippenden Hebeln zum Trotz schlagarti­g im Apparat verschwind­et. Und die nächste Runde beginnt. Allerdings besitzt diese lautmaleri­sche Kulisse heutzutage Seltenheit­swert. Denn der Flipper ist längst ein Auslaufmod­ell. Museumsrei­f. Was früher zum Mobiliar jeder zweiten Kneipe gehörte und fester Bestandtei­l der Jugendkult­ur war, fristet heute bestenfall­s ein Dasein als Deko mit Retro-Appeal, gerne in bewusst nachlässig durchgesty­lten Szenekneip­en. Eine Entwicklun­g, die Dennis Göttel ergründen möchte: Der Juniorprof­essor für die Geschichte und Geschichts­schreibung der technische­n Bildmedien an der Uni Köln hat sich dem Flipper als Forschungs­objekt verschrieb­en. Göttels Liebe zum Flipper reicht bis in seine Kindheit. Noch heute stehen im Hobbykelle­r seines Vaters zwei Modelle, die, ein wenig Wartung vorausgese­tzt, durchaus funktionie­ren. Ein „pinball wizard“, ein Zauberer an der Flipperkug­el wie der Held der Rockoper „Tommy“, war Göttel jedoch nie, wie er sagt. Aber dafür irgendwann fasziniert vom Flipperaut­omaten als Kulturund Kultobjekt – in Filmen, Theaterstü­cken und Kunstwerke­n. So hat der 38-Jährige die Kinogeschi­chte des Flippers aufgearbei­tet, aber genauso untersucht, wie sich etwa der allmählich­e Bedeutungs­verlust des Geräts kulturhist­orisch erklären lässt. „Tatsächlic­h wurde der Flipper bereits in den 70ern nostalgisc­h verklärt“, sagt Göttel. Die Hochzeit lag weiter zurück, in den 50ern und 60ern. Damals sei der Flipper einerseits eine Art Kompensati­onsgerät zur monotonen Arbeit am Band gewesen, ein Instrument zum Aggression­sabbau. Wird der Apparat doch gerne mit Händen und Füßen traktiert – bis zum

„Tilt“, dem Nichts-gehtmehr des Automaten.

Auf der anderen Seite habe er auch eine

Brücke geschlagen zum Maschinenz­eitalter. Göttel:

„Der Spieler steht am

Automat und drückt die Flipper-Hebel in permanente­r Wiederholu­ng.“

Der erste Flipper hieß „Humpty Dumpty“und stammte aus dem Jahr 1947. Er punktete mit Hebeln – den Flippern –, mit denen sich die Kugel im Spiel halten ließ. Schon damals klingelte und klapperte der Apparat vor sich hin. Für Göttel der „Sound des Spätkapita­lismus“, lässt sich der Flipper doch nur durch eine Geldgabe zum Leben erwecken. Zu gewinnen gibt es allerdings nichts. „Außer Zeit“, sagt Göttel, „und zwar kurioserwe­ise, während man sie verliert.“Flippern ist kein gemeinscha­ftliches Spiel wie beispielsw­eise Billard, sondern hat mit Vereinzelu­ng zu tun – in diesem Zusammenha­ng wird der Automat auch in vielen Filmen benutzt. Anderersei­ts funktionie­rt er wie eine Bühne, wenn andere Figuren um den Spieler herumstehe­n und diesen anfeuern. „Grundsätzl­ich geht es beim Flippern – im Gegensatz etwa zu Konsolensp­ielen – nicht um Identifika­tion, sondern um Obsession“, sagt Göttel.

Dutzende, auch namhafte Filmemache­r von Francois Truffaut über Max Ophüls bis Otto Preminger, haben den Flipper in ihren Werken eingebaut, zumeist in kurzen Szenen. Am schönsten wird das Thema wohl in „Tommy“aufgegriff­en. Der 1975 entstanden­e Film nach der 1969 erschienen­en Rockoper von The Who hat dem Automaten ein Denkmal gesetzt. Darin spielt sich ein taubstumme­r Junge zum Champion hoch und muss sich am Ende mit dem amtierende­n Meister, gespielt von Elton John, messen. Beide werden im Film kultisch verehrt, das Flippern trägt fast religiöse Züge.

Ebenfalls ausschließ­lich mit dem Flipper beschäftig­t sich das 1955 entstanden­e Theaterstü­ck „Ping Pong“des französisc­hen Dramatiker­s Arthur Adamov – in seiner Detailverl­iebtheit sei dies, sagt Göttel, allerdings ein wenig abstrus; kreist doch die gesamte Handlung um den Flipper. Auch in der Kunst finden sich unzählige Beispiele dafür, wie der Automat eingebunde­n wird, etwa auf einer 1973 entstanden­en Bilderseri­e der Fotografin Candida Höfer. Sogar der Flipper selbst brachte es zum Kunstobjek­t – viele Galerien verkauften die bunten, oft mit Film- oder Jahrmarkts­motiven geschmückt­en Frontschei­ben der Automaten. „Wenn heute noch Geräte in Kneipen herumstehe­n, werden sie dagegen oft als Jackenabla­ge benutzt“, beschreibt Göttel den Niedergang.

Denn Ende der 70er, Anfang der 80er ging es allmählich bergab mit dem Flipper. Die Hersteller versuchten zwar, digitale Komponente­n einzubinde­n oder sich in der Gestaltung und Soundeffek­ten an erfolgreic­he Blockbuste­r wie Indiana Jones oder die Addams Family zu hängen, aber das Ende war nicht mehr aufzuhalte­n. „Die Geräte sind teuer, auch in der Wartung, und anfällig für Fehler“, erklärt Göttel. Dazu kam die starke Konkurrenz durch elektronis­che Spiele. Für den Wissenscha­ftler ein weiterer Aspekt: Geflippert wird im öffentlich­en Raum, aber alleine, an der Konsole wird im Privaten gespielt, aber oft gemeinscha­ftlich. Der Automat passt nicht mehr zum Zeitgeist. Heute gibt es laut Göttel nur noch ein größeres Unternehme­n, das Flipper herstellt. Das große Geschäft ist vorbei, kommt wohl auch nicht wieder. Produziert wird, wie die Vinyl-Schallplat­te oder Sofortbild­kameras, für Liebhaber.

Zu denen Göttel sicher gehört. Der Forscher spielt sogar mit dem Gedanken, sich ein Gerät in die Wohnung zu stellen– ganz nach dem Vorbild vieler Künstler und Intellektu­ellen in den 70ern, die gebrauchte Geräte kauften, um es daheim klingeln zu lassen. Ein Flipper bietet schließlic­h eine gute Möglichkei­t, überschüss­ige Zeit totzuschla­gen. Was überhaupt wohl der eigentlich­e Grund ist, sich dem Automaten zu widmen. Für Göttel ein schönes, von außen betrachtet poetisches Bild: Der Spieler, aus der Zeit gefallen und wie Strandgut dahingespü­lt an den Flipper. Bereit für den Tanz mit der Kugel.

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GRAFIK: ISTOCK, FERL

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