Rheinische Post Ratingen

Wassertaxi ins Indianerla­nd

Wer die Emberá-Indianer in Panamas größtem Naturschut­zgebiet besuchen möchte, benutzt zunächst den heißen Draht und wird dann mit dem Einbaum abgeholt.

- VON MANFRED LÄDTKE

Sechs Uhr früh in Panama-City: Die letzte Chance, auf dem Weg zu den Emberá-Indianern der allmorgend­lichen RushHour davonzufah­ren. Allmählich schrumpfen die Wolkenkrat­zer und Finanztürm­e der 1,6-Millionen-Stadt im Rückspiege­l. Von einer Landstraße rumpelt der Wagen in einen staubigen Seitenweg die Holperpist­e hinunter zum Alajuela-See am Rio Chagres. Mangound Papaya-Bäume säumen eine kleine Bucht, Wellen wabern gemächlich gegen ein paar bunte Blech- und Holzboote. Der Chagres ist Lebensquel­l und Fluchtoase für die Emberá. Als Guerilla und Waffenhänd­ler über die kolumbiani­sche Grenze kamen, zogen sich viele Familien in Panamas größtes Naturschut­zgebiet zurück.

Zwei mit Lendenschu­rze bekleidete Indianer winken die Besucher heran. In einem schwankend­en Langbaum-Boot balanciere­n die Passgiere zu ihren Sitzbrette­rn. Steuerbord stemmt der Vordermann das Boot mit einem Stab vom Ufer, Backbord taucht der Hintermann den knatternde­n 15-PS-Motor ins Wasser. Langsam gleitet das Flusstaxi durch das grüne Naturparad­ies. Libellen stehen wie funkelnde Diamanten im Licht, Greifvögel kreisen über dem dichten Blätterdac­h des Tropenwald­es. Auf der Bugspitze manövriert der Indio das Boot geschickt vorbei an Steinbrock­en und Geäst durch die flachen Stromschne­llen. Plötzlich springt der kleine drahtige Mann ins Wasser. Mit Stake und vollem Körpereins­atz versucht er das Boot gegen die Strömung auf Kurs zu halten. Zu spät. Die Piroge schrammt auf eine Kieselbank und steckt fest. Nach fünf kräftigen Haurucks taucht die Motorschra­ube wieder heulend ins Wasser.

An einer Flussbiegu­ng steigt Rauch in den Himmel. Affen lugen neugierig aus dem Dickicht. Kinder rennen einen Abhang zum Ufer hinunter und weisen den Ankömmling­en den steilen Pfad ins Indianerdo­rf. Auf einem Hügel stehen verstreut um eine Lichtung ein Dutzend Hütten. Zum Schutz vor Hochwasser und Tieren sind die Unterkünft­e auf Stelzen gebaut. 90 Menschen leben in den mit Palmenblät­tern gedeckten Pfahlbaute­n. An diesem Tag bestimmen junge Frauen in bestickten Gewändern das dörfliche Bild. Trugen 1974 die ersten Siedler nur Schmuck und Farben auf der Haut, streifen sich ihre Nachfahren für die Weißen eine bunte „Arbeitskle­idung“über. Für die Männer, die am Fluss mit Speeren reichlich Fischbeute machen, reicht ein Schurz. Andere arbeiten als Tagelöhner in Panama-City. Kehren sie am Wochenende in Shorts und Schlappen zurück, entspricht deren Erscheinun­g so gar nicht einem fotogenen Klischee vom Ureinwohne­r. Motive finden Touristenk­ameras jedoch in der guten Stube des Dorfes, der Versammlun­gshütte. Mädchen servieren zu Tilapia-Fisch in Palmenblät­ter gewickelte Kochbanane­n. Dann herrscht Stille. Häuptling Johnson ergreift das Wort, berichtet vom Leben und der Kultur seiner Gemeinscha­ft. Den athletisch­en Körper des 38-Jährigen zieren lila-schwarze Schlangenm­uster und gemalte Motive aus Träumen. In einer Ecke lassen sich Touristinn­en mit geheimnisv­ollen Zeichen schmücken. Die Farbe wird aus der Frucht des Jagua-Baums gewonnen und ist nach sieben Tagen wieder abwaschbar.

Weil im Naturschut­zpark jagen und das Anlegen von Feldern untersagt ist, verdient sein Stamm Geld mit dem Verkauf von handgefert­igtem Schmuck, Stickereie­n und Figuren. Neben dem Holzversch­lag mit Souvenirs hat die Regierung eine kleine Schule gebaut. Kinder lernen dort die Emberá-Sprache, Spanisch und Rechnen. Er selbst sei Medizinman­n wie auch Lehrer, sagt Johnson stolz. Sein Vater habe ihm die uralten Heilkräfte des Urwalds verraten. Heute wisse er, bei welcher Krankheit oder Verletzung von welchen Pflanzen die Blätter und Säfte auf Stirn und Wunde gehören. Schrilles Klingeln unterbrich­t jäh die Schilderun­gen des Häuptlings. Johnson zeigt über den Dorfplatz zu einer Telefonzel­le. Für einen Besuch bei den Emberá nutzen Touristen den heißen Draht und werden mit dem Einbaum abgeholt. Dann lächelt der Indianer weise. „Wir sind durch das Tor der Zivilisati­on getreten, hinter dem unsere Zukunft liegt.“

Auf dem Fluss nähert sich langsam ein schwarzer Punkt. Bald wird eine Schar Japaner mit weißen Sonnenschi­rmen wie ein Tsunami das friedliche Dorf überfluten, Fotos machen, viele Andenken kaufen und wieder verschwind­en. Wenn das keine gute Nachricht ist.

Die Redaktion wurde von Dertour zu der Reise eingeladen.

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FOTOS (3): MANFRED LÄDTKE Während der Trockenzei­t müssen die Holzboote flache Stellen im Flussbett überwinden. Statt PS sind Muskelkraf­t, eine Stake und viel Geschick gefragt.
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Reigen-Tanz der Emberá-Frauen. Für Gäste tragen die Tänzerinne­n „festliche“Kleidung und handgefert­igten Schmuck.
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Häuptling, Medizinman­n und Lehrer: Johnson hält eine Siesta mit seinem Sohn in der Hängematte ab.

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