Rheinische Post Ratingen

Als erste Muslimin in den Kongress

Rashida Tlaib aus Detroit dürfte in wenigen Wochen ins US-Repräsenta­ntenhaus einziehen. Die Tochter palästinen­sischer Einwandere­r will ihren Demokraten wieder Kampfgeist beibringen. In ihrer Partei steht sie weit links.

- VON FRANK HERRMANN

DETROIT Rashida Tlaib dürfte demnächst Geschichte schreiben. Am 6. November werden die Wähler Detroits sie mit hoher Wahrschein­lichkeit in den Kongress zu Washington delegieren. In Detroit, der herunterge­kommenen Automobils­tadt, die neuerdings Ansätze eines Comebacks erlebt, hat man im Grunde nur dann eine Chance, ins amerikanis­che Parlament einzuziehe­n, wenn man der Demokratis­chen Partei angehört. Republikan­er sehen dort seit Jahrzehnte­n keinen Stich mehr, und im August, als Rashida Tlaib die Vorwahlen der Demokraten gewann, war eigentlich klar, dass der Rest nur noch Formsache sein dürfte.

Dennoch wird der Tag des Votums als historisch­es Datum in die Annalen eingehen. Denn die 42-Jährige, Tochter palästinen­sischer Migranten, ist die erste Frau muslimisch­en Glaubens, die im Repräsenta­ntenhaus der USA sitzen wird.

Wäre es nicht ein wenig aus der Mode gekommen, Geschichte­n vom Aufstieg aus einfachste­n Verhältnis­sen mit dem Etikett des amerikanis­chen Traums zu versehen – Tlaibs Geschichte wäre Stoff für eine Fibel über den American Dream. Der Vater, eingewande­rt aus dem Westjordan­land, stand bei Ford am Fließband, ohne ans Studieren auch nur zu denken. Rashida, das älteste von 14 Kindern, war die Erste in der Familie, die ein College besuchte. Und schnell Karriere machte.

Bereits 2008, in dem Jahr, in dem Barack Obama das Rennen ums Weiße Haus für sich entschied, wurde sie ins Bundesstaa­tenparlame­nt Michigans gewählt, wo sie sich auf dem linken Flügel ihrer Partei profiliert­e. Inzwischen plädiert sie für Universitä­ten ohne Studiengeb­ühren, wie es auch Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont, während des Wahlduells gegen die vorsichtig­ere Hillary Clinton verlangte. Sie fordert eine Gesundheit­sreform, die private Krankenver­sicherunge­n praktisch überflüssi­g macht, weil die bereits in den Sechzigern eingeführt­e steuerfina­nzierte Versorgung von Senioren auf ausnahmslo­s alle Altersgrup­pen ausgedehnt werden soll. Die Ausgaben fürs Militär will sie drastisch kürzen, den staatlich garantiert­en Mindestloh­n auf 15 Dollar pro Stunde erhöhen.

Die Demokraten, betont Rashida Tlaib, müssten wieder das Kämpfen lernen. Zu lange hätten sie zu viel Wert darauf gelegt, „alle und jeden und damit keinen zufriedenz­ustellen“. Es ist ein Seitenhieb gegen Bill und Hillary Clinton, gegen Barack Obama und Joe Biden, gegen Politiker, die Kompromiss­e schmiedete­n, um die politische Mitte zu besetzen. Wegen der ewigen Suche nach dem Mittelweg, findet Tlaib, sei die eigentlich­e Klientel, seien die kleinen Leute zu kurz gekommen, bis sie sich irgendwann nicht mehr vertreten fühlten. Das will sie ändern, ähnlich wie der Veteran Sanders, ähnlich wie Stacey Abrams, die erste schwarze Amerikaner­in, die sich um den Gouverneur­sposten des Südstaats Georgia bewirbt, ähnlich wie Alexandria Ocasio-Cortez, die Senkrechts­tarterin aus der New Yorker Bronx, die sich als demokratis­che Sozialisti­n charakteri­siert.

In die Schlagzeil­en geriet Tlaib übrigens zum ersten Mal im August vor zwei Jahren, mit einem improvisie­rten Protest gegen Donald Trump. Der Präsidents­chaftskand­idat reiste nach Detroit, um im „Economic Club“eine Rede zu halten. Alle paar

Minuten wurde er von Zwischenru­fern unterbroch­en, einmal besonders lautstark von Rashida Tlaib, die postwenden­d von Aufpassern aus dem Saal gezerrt wurde.

Der Protest, sagte sie damals, „war das Amerikanis­chste, was ich je getan hatte“.

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FOTO: DPA Rashida Tlaib (2.v.l.), Kandidatin fürs Repräsenta­ntenhaus, nimmt Anfang September an einem Umzug zum amerikanis­chen Tag der Arbeit in Detroit, Michigan teil.

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