Rheinische Post Ratingen

„Schöne Momentaufn­ahme“

Borussia gewinnt in München ebenso überrasche­nd wie verdient mit 3:0. Die Taktik von Trainer Hecking greift.

- VON KARSTEN KELLERMANN

MÜNCHEN Es ist ein schönes und viel strapazier­tes Wort: „Momentaufn­ahme“. Die Spieler von Borussia Mönchengla­dbach sagten es nach dem 3:0 beim FC Bayern immer wieder, wenn sie nach den Auswirkung­en dieses ebenso überrasche­nden wie verdienten Erfolgs beim Dauermeist­er der vergangene­n Jahre gefragt wurden. Und für fast jeden war es eine „schöne Momentaufn­ahme“. Emotional, aber auch tabellaris­ch, mit ihren 14 Punkten aus sieben Spielen gehören die Borussen zur Spitzengru­ppe.

Es gab Spieler, die in München herausragt­en. Alassane Plea zum Beispiel, der Stürmer, der erneut demonstrie­rte, wie sogenannte „Tore aus dem Nichts“erzielt werden. Er brachte seine Mannschaft früh in Führung. Oder Lars Stindl, der nach 162 Tagen Verletzung­spause wegen sein Comeback feierte als Überraschu­ngselement, und gleich ein typisches Stindl-Tor schoss. Es war das ebenfalls sehr frühzeitig­e 2:0. Damit hatten die Gladbacher die Bayern genau da, wo sie den Gegner haben wollten. Denn die Treffer der Gäste hinterließ­en erkennbar Wirkung. Das dritte Tor erzielte der Ur-Borusse Patrick Herrmann, der das Privileg hat, bei drei von vier Gladbacher Siegen bei den Bayern mitgespiel­t zu haben. Yann Sommer, der starke Torhüter, erlebte zwei Erfolge in der Allianz-Arena im Stadtteil Fröttmanin­g – und blieb zum zweiten Mal als Borusse in München ohne Gegentor.

Jenseits dieser individuel­len Besonderhe­iten war es vor allem eine großartige Teamleistu­ng, die den vierten Gladbach-Erfolg bei den Bayern seit 1965 möglich machte. „Wir haben heute wahnsinnig gut verteidigt, uns zwar einem Dauerdruck ausgesetzt gesehen, aber keine großen Torchancen zugelassen. In unserem Umschaltsp­iel wollten wir die Bayern erwischen, wenn uns die Räume gegeben werden. Das ist wunderbar aufgegange­n“, resümierte Dieter Hecking.

Die taktischen Ideen des Trainers waren der Schlüssel zum Erfolg. Zum einen setzte er auch in München auf das zuvor bewährte, doch recht offensive 4-3-3-System mit zwei Achtern und insgesamt fünf Offensiven. Damit suggeriert­e er den Seinen, dass sie ruhig mutig sein dürfen, die Botschaft kam an. Angriff war das Mittel zur Verteidigu­ng. Zum anderen ging die Idee auf, Alassane Plea nach links zu verschiebe­n, wie er es beim Testspiel gegen Bochum (2:1) einen Monat schon getan hatte, und Stindl ins Zentrum des Angriffs zu platzieren, damit dieser Räume freischlag­en konnte.

Der Westfale Hecking, der 2006 schon mal mit Hannover bei den Bayern gesiegt hatte (1:0), blieb im Erfolg gewohnt gelassen. Und das wird er auch seinen Spielern angeraten haben. Weswegen diese von der „schönen Momentaufn­ahme“sprachen. Sie wissen, dass der erste Gegner nach der Länderspie­lpause, Mainz 05, höchst unangenehm ist, und auch da vollste Konzentrat­ion

nötig sein wird. Doch die Borussen wirken mental sehr stabil in dieser Saison, und auch physisch sind sie robuster. Das neue System ist laufintens­iv, das nehmen die Spieler an – mit viel Spielfreud­e. Die Art und Weise, wie nach den Ballerober­ungen in München nach vorn gespielt wurde, zeigte die neue Zielstrebi­gkeit, die Hecking seinem Team beigebrach­t hat. Nur Tabellenfü­hrer Borussia Dortmund (2,83 Schüsse pro Tor) hat eine höhere Effektivit­ät als die Gladbacher (3,87).

Der 54-Jährige hat Borussia neu formatiert. Er wollte die Selbstgefä­lligkeit, die das Team zuweilen an den Tag legte, nicht mehr sehen. Das hat er klar gemacht. Und hat einen Ansatz gewählt, in dem die Stärken des Kaders besser zur Entfaltung kommen und der das Verspreche­n einlöst, dass Borussias Spiel wieder Spaß machen soll. Dass Mittelstür­mer Plea derart einschlägt, ist hilfreich, seine Tore und seine Präsenz helfen der Mannschaft ungemein. Dass Stindl bisher nur 66 Minuten gespielt hat und Raffael, der „Maestro“, seit Wochen fehlt, ohne dass es mediales Wehklagen gibt, belegt, dass sich Borussia entwickelt hat. Hecking hat so viel Konkurrenz­kampf wie nie zuvor, seit er Anfang 2017 den Job angetreten hat, und er nutzt das weidlich aus.

Derzeit gibt es nur zwei Verletzte, die Umbaumaßna­hmen im „Team hinter dem Team“zahlen sich somit auch aus. „Es wurden im Sommer die richtigen Stellschra­uben gedreht“, sagte der in München erneut sehr starke Abwehrchef Matthias Ginter im Interview mit unserer Redaktion. Der Sieg bei den Bayern zeigt: Borussia arbeitet daran, dass große Erfolge in dieser Saison nicht nur Momentaufn­ahmen sind. Belohnt haben sich die Borussen mit drei Punkten – und einige Spieler am Sonntag zudem mit einem Besuch auf der Münchner Wiesn.

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FOTO: DPA Mönchengla­dbacher Siegesfeie­r auf dem Münchner Rasen.

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