Rheinische Post Ratingen

Ein Spiel und vier Geschichte­n

Gut 80.000 Zuschauer erleben im Dortmunder Stadion ein denkwürdig­es Spiel. Das 4:3 des Tabellenfü­hrers gegen den FC Augsburg erzielt Paco Alcacer in letzter Sekunde.

- VON ROBERT PETERS

DORTMUND Zum Glück haben die Baumeister des Dortmunder Stadions bei der Statik gut aufgepasst. Die Betonschüs­sel hält deshalb auch außerorden­tlichen Belastunge­n stand. Beim Bundesliga-Spiel gegen den FC Augsburg brachten die Fans der Borussia ihre Heimspiels­tätte vor allem in der Schlusspha­se zum Beben wie zuletzt vielleicht im April 2013 beim 3:2-Champions-League-Erfolg über Malaga. Ähnlich wie vor fünf Jahren schoss der BVB das entscheide­nde Tor gegen Augsburg erst unmittelba­r vor dem Abpfiff, Paco Alcacer platzierte einen Freistoß rechts an der Mauer vorbei zum 4:3-Endstand ins Netz. Und genau wie das 3:2 gegen Malaga erzählte dieses Spiel gleich mehrere Geschichte­n.

Da war die eines Spiels mit einer bemerkensw­erten Dramaturgi­e. Darum machte sich zunächst mal der Gast verdient. Augsburg machte dem großen Favoriten das Leben schwer, störte den Aufbau, verdichtet­e das Mittelfeld, hielt Dortmund von der Entwicklun­g des eigenen Spiels lange erfolgreic­h ab. Der Gast ging zweimal in Führung, durch ein typisches Mittelstür­mer-Tor von Alfred Finnbogaso­n zum 0:1 und durch ein Traumtor von Philipp Max zum 1:2, an das sich die BVB-Spieler nur deshalb erinnern, weil es Fernsehauf­zeichnunge­n davon gibt. In Real-Geschwindi­gkeit ging es zu schnell.

Als Dortmund sieben Minuten vor dem Ende das Spiel mit dem 3:2 gedreht zu haben schien, schlug Augsburg noch einmal mit dem Ausgleich zum 3:3 zu. Doch mit dem letzten Schuss sicherte Dortmund doch noch die Tabellenfü­hrung. Während das Fußballvol­k auf der Tribüne tobte, sagte Augsburgs Trainer Manuel Baum: „Das ist wirklich bitter, wir haben uns nicht versteckt und eigentlich ein großartige­s Spiel gemacht.“Belohnt wurde es nicht, weil sich der Gast „zwei Unachtsamk­eiten“(Baum) leistete, die Dortmund im Stil einer Spitzenman­nschaft bestrafte.

Die zweite Geschichte ist die des unerwartet­en Comebacks von Mario Götze. Bislang hat der neue Trainer Lucien Favre nicht erkennen lassen, dass das einst größte deutsche Fußballtal­ent bei ihm auf dem Rückweg zum Stammspiel­er sein könnte. Dafür gab es auch am Samstag keine Anzeichen. Immerhin aber stand Götze mal wieder im Aufgebot. Eine Viertelstu­nde vor Schluss schickte sein Coach ihn auf den Rasen, das sorgte für das erste Beben auf den Rängen. Als ausgerechn­et, wie es dann gern heißt, Götze sechs Minuten nach seiner Einwechslu­ng mit einem Flachschus­s aus spitzem Winkel das 3:2 erzielte, hob das Westfalens­tadion zum ersten Mal kurz ab. Als es wieder stand –- so ungefähr zehn Minuten nach dem Abpfiff – verdiente sich Götze zwar ein Sonderlob des Trainers für die profession­elle Einstellun­g („fantastisc­he Mentalität“). Eine Rückkehr in die Stammelf stellte Favre dennoch nicht in Aussicht. „In unserem System gibt es nur einen Platz für ihn, da konkurrier­t er mit Reus

und Kagawa“, sagte der Schweizer Fußballpro­fessor, „das ist schwer für ihn.“Götze wird sich an Kurzeinsät­ze gewöhnen müssen oder im Ausland sein Glück versuchen – trotz des Treffers und der Begeisteru­ng seiner Fans.

Die dritte Geschichte erzählt der zweite Einwechsel­spieler mit einem großen Namen. Nach einer Stunde kam Alcacer ins Spiel. Und er schlug noch schneller ein als Götze. Seine erste Ballberühr­ung war der Ausgleich zum 1:1, das 2:2 erzielte er nach einem schnell ausgeführt­en Freistoß des ebenfalls eingewechs­elten Raphael Guerreiro und den Siegtreffe­r mit der letzten Ballberühr­ung des gesamten Spiels. „Wenn ein Stürmer in 30, 35 Minuten drei Tore macht, dann ist das sensatione­ll“, urteilte Kapitän Marco Reus, „besser geht es wohl nicht.“Im Unterschie­d zu Götze darf Alcacer künftig von längeren Einsatzzei­ten ausgehen. Favre will ihn allerdings behutsam an höhere Belastunge­n heranführe­n. „Er hat drei Jahre kein Spiel über 90 Minuten gemacht“, erklärte der Coach, und er variierte seinen Lieblingss­atz, nach dem alles ziemlich „schwer ist“: „Es ist nicht leicht.“Probleme wie das, einen Spieler von der Qualität Alcacers heranzufüh­ren, hätten andere gern.

Das führt zur vierten Geschichte. Die handelt von der neuen Mentalität der Dortmunder, denen Rückstände nicht mehr den Glauben ans eigene Spiel rauben wie in der vergangene­n Saison. „Wir haben Vertrauen“, betonte Favre. Und die Geschichte handelt von einem Team mit sehr großen fußballeri­schen Möglichkei­ten. Zurzeit schöpft die BVB-Mannschaft ihr Potenzial vor allem im Angriff aus. Nachholbed­arf hat sie in der defensiven Organisati­on, denn Augsburg war nicht das erste Team, das die Bubi-Abwehr der westfälisc­hen Borussia durcheinan­der brachte. Dan-Axel Zagadou (19), Achraf Hakimi (19), Abdou-Lakhad Diallo (22) und Manuel Akanji (23) müssen noch viel lernen. „Defensiv haben wir zu tun“, sagte Favre, „das gehört auch dazu. Ich habe ja gesagt: Wir brauchen Zeit.“Die komfortabl­e Situation in der Tabelle gibt ihm alle Zeit der Welt.

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FOTO: DPA Der Matchwinne­r: Der Dortmunder Paco Alcacer bejubelt das dritte seiner drei Tore zum 4:3 gegen Augsburg.

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