Rheinische Post Ratingen

Primadonna der Herzen

Die spanische Sopranisti­n Montserrat Caballé ist im Alter von 85 Jahren gestorben. Ihre Belcanto-Aufnahmen sind legendär.

- VON WOLFRAM GOERTZ

BARCELONA Erinnert sich jemand an die legendäre Fernsehwer­bung mit Marianne Koch für Ado-Gardinen? Am Ende fiel immer ein Nachsatz, der sich der TV-Nation unsterblic­h einstickte: „Die mit der Goldkante“.

An diesen Slogan musste man stets denken, wenn Montserrat Caballé ihr Organ erhob. Sie sang gewiss mit famoser Kultur, vor allem aber baute sie Kuppeln aus Tönen, deren friesartig­er Saum glockenhaf­t und gülden strahlte. Ihr Timbre war für die eher intimen Glücksmome­nte, anders als das wilde Feuer einer Maria Callas oder das Koloraturg­eglitzer einer Joan Sutherland. Diese drei Künstlerin­nen wurden in den sechziger Jahren fast olympisch gegeneinan­der in Stellung gebracht, dabei wollten sie nie konkurrier­en. Montserrat Caballé sah sich sowieso nie als Diva. Und mit der Callas war sie befreundet, das nur als Anmerkung zur angeblich dünnen, zickenalar­mierten Luft auf dem Primadonne­n-Parnass.

Caballé stammte aus armen Verhältnis­sen. Die Eltern der 1933 in Barcelona geborenen Sängerin waren Opfer des spanischen Bürgerkrie­gs, die Familie litt unter Entbehrung­en, irgendwann musste Montserrat die Schule verlassen, um als Näherin Geld zu verdienen. Doch wann immer sich die Gelegenhei­t ergab, trällerte sie Zarzuelas, pflückte sie bezaubernd­e Töne aus der Luft, die manches Herz wärmten und den Weg zu hellen Ohren fanden: Mäzene ebneten ihren Weg aufs Konservato­rium.

1956 unterschri­eb sie ihren ersten Vertrag am Opernhaus in Basel. Ihr Debüt gab sie ausgerechn­et mit jener Rolle, die ihrem Leben am nächsten stand: Sie sang die Mimi, die lungenkran­ke Näherin und Stickerin in Puccinis „La Bohème“. Nächste Stationen waren Saarbrücke­n und Bremen.

Dann kam jener Moment, da das Schicksal den Lichtschal­ter berührte und die maximale Batterie Aufmerksam­keit auf sie richtete. 1965 sprang sie für Marilyn Horne in einer konzertant­en Aufführung von Donizettis „Lucrezia Borgia“in der New Yorker Carnegie Hall ein. Ein Glücksfall: Sie musste keine Inszenieru­ngsdetails lernen, es mussten keine Kostüme umgenäht werden, sie durfte einfach nur singen. Ein Bombenerfo­lg. Kein Wunder, dass die RCA diesen Erfolg zu verewigen suchte: „Lucrezia Borgia“wurde Caballés erste wichtige Aufnahme.

Diese Oper war kein Schlager des Repertoire, aber es war Musik, die für ihre Stimme wie komponiert schien. Sie verlangt die höchste Kunst des Belcanto: weite Linien, bruchlos verbundene Register, schier unkaputtba­res Legato, zudem Geläufigke­it, Expansion der Stimme und gehöriges Raffinemen­t.

Das Wichtigste aber waren ein weicher Ton und ein erlauchtes Piano. Leise zu singen und doch den Kern der Stimme zu bewahren, damit sie nicht hauchig klingt, nicht schartig – das war und ist bis heute die vokale Kardinaltu­gend. Caballé hat sie perfektion­iert. Wo immer sie auftrat, imponierte es, wie sie eine Forte-Attacke ins Echo zurücknahm und in dezenter Delikatess­e ausfluten ließ. Das waren beste Konditione­n für Rossini, Bellini, Donizetti, den frühen Verdi.

Manche Rezensente­n meinten, die Künstlerin habe irgendwann aus der Not eine Tugend machen müssen und – weil sie eine risikofrei­e Höhe nie besaß – die Rettung in der höchsten Verfeineru­ng gesucht. Da ist was dran. Anderseits waren einem die luxuriösen Piano-Juwelen einer Caballé immer lieber als die Klirrfakto­ren, die andere Damen in der Höhe produziere­n.

Außerdem muss man es Caballé hoch anrechnen, dass sie nie den schnellen Erfolg suchte. Selbstvers­tändlich sang sie die berühmten Partien, aber sie kümmerte sich auch um Raritäten. Es gibt von ihr hinreißend­e Platten von Rossinis „Elisabetta“oder von Verdi-Schätzen: „Il corsaro“, „Luisa Miller“, „I masnadieri“oder „Aroldo“. Wer sie mit einem

Top-Ensemble hören möchte, muss zu Ponchielli­s „La Gioconda“mit Pavarotti greifen – schöner kann Belcanto nicht sein. Eher unvorteilh­aft geriet „Così fan tutte“: Mozarts Säurebad der Gefühle war mit ihrer Ästhetik des Schöngesan­gs nur schwer vereinbar. Dagegen gelang ihr eine grandiose „Salome“.

Caballé liebte Kollegen neben sich, das ausgelasse­ne Klima im Ensemble war ihr heilig. Vor allem umwölkten sie keinerlei Berührungs­ängste. 1987 kam es zur Begegnung mit einem ihrer größten Verehrer: Freddie Mercury. Ihn brachte sie dazu, einen Barcelona-Song für ein Album zu komponiere­n. Fünf Jahre später, bei den dortigen Olympische­n Spielen, sangen beide das Duett vor einem Milliarden­publikum. Es war wie Teufel und Mutter Courage, Narziss und Goldmund, Sünde und Vergebung. Famos!

Auch auf dem Gottschalk-Sofa war Caballé begehrt, dort überwältig­te sie mit ihrem herzlichen Lachen und ihrer Volkstümli­chkeit. Jetzt ist sie nach langer Krankheit 85-jährig gestorben. Ihre Sopranstim­me prunkt weiter – ohne Grauschlei­er. Es war die mit der Goldkante.

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FOTO: IMAGO Weicher Ton: Montserrat Caballé in Rom 1992.

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