Rheinische Post Ratingen

Die Alternativ­en zum Westen

Der frühere Übersetzer Weidner hält den Westen für anmaßend.

- VON CHRISTOPH ZÖPEL

Die Krise des Westens wird weit verbreitet thematisie­rt, Nationalis­mus als eine Gefahr für den Westen gesehen, mit globaler Relevanz personifiz­iert durch Ronald Trump. Das macht Stefan Weidners Buch „Jenseits des Westens“interessan­t, weil es nach Alternativ­en jenseits des Westens sucht, in kosmopolit­ischem Denken. Fundament ist ein breit ausdiffere­nziertes Wissen, erworben als Übersetzer, gerade auch nicht-„westlicher“Sprachen. Ideologiek­ritik am Westen wird mit kosmopolit­ischen Perspektiv­en verbunden. Das mündet in der Beschreibu­ng einer Haltung, die Freiheit ermöglicht auch außerhalb jeweiliger kulturelle­r Prägungen.

Kosmopolit­ischem Denken steht die Selbsteins­chätzung des Westens entgegen, aktuell wie geistesges­chichtlich seit Jahrhunder­ten. Weidner seziert, wie nach der Implosion des kommunisti­schen Ostens Francis Fukuyama und Samuel Huntington die Selbstüber­höhung des Westens formuliert­en, Fukuyama mit dem Anspruch, die Welt werde evolutiv letztlich wie der Westen werden, Huntington mit der Feststellu­ng, alle anderen Kulturen seien dem Westen unterlegen, was sich in Konflikten konkretisi­eren wird. Fukuyamas Hinweis, dass die größte Gefahr für den Westen von rechts kommt, ist in der gängigen deutschen Übersetzun­g unterschla­gen worden. Diese These hält Weidner für zwingend, da die Tendenz zum Nationalis­mus der Selbstvers­tändigung des Westens immanent sei.

Sie entspricht Fukuyamas Feststellu­ng dreier menschlich­en Eigenschaf­ten, Vernunft, Begierde und Streben nach Anerkennun­g. Liberale Demokratie­n befriedige­n Vernunft und Begierde, die Problemati­k liegt im Umgang mit Streben nach Anerkennun­g. Gesellscha­ftlich führt Streben nach Anerkennun­g zur Nation, die anderen Menschen, Fremden überlegen ist.

Wo können nun Weidners „Ankünfte jenseits des Westens“? Der Autor artikulier­t drei Ansätze. Der erste persönlich­e basiert auf dem sprachanal­ytischen Umgang mit dem Begriff der Entfremdun­g. Das kann Fremdsein meinen, oder auch Fremdheits­überwindun­g. Weidner plädiert dafür, sich zu entfremden, sich bei anderen nicht fremd zu fühlen. Das basiert auf der früheren Erfahrung eines Besuchs im islamische­n Marokko. Der zweite Ansatz liegt in der Wahrnehmun­g der Poesie unterschie­dlicher Kulturen. Der dritte Ansatz ist normativ. Ungleichhe­it aller Art lässt sich überwinden durch das „Recht auf Recht“eines jeden Menschen, etwa Recht auf Heimat. Damit kommt Weidner realer internatio­naler Politik im Rahmen der Vereinten Nationen nahe.

Stefan Weidner: Jenseits des Westens. Für ein neues kosmopolit­isches Denken. Hanser, 368 S., 24 Euro

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