„Wir suchen ständig kleine und große Wohnungen“
Ein Gespräch mit Uli Gaßmann, Pädagogischer Geschäftsführer der Lebenshilfe.
Herr Gaßmann, seit 20 Jahren gibt es das so genannte Betreute Wohnen. 67 erwachsene Menschen mit einer geistigen Behinderung leben im Kreis Mettmann ambulant alleine oder in Wohngemeinschaften so selbstständig wie möglich. Wo haben sie eigentlich vorher gewohnt?
Gaßmann Als wir uns vor 20 Jahren für die neue Form der Begleitung entschieden, zogen nur wenige direkt aus dem Elternhaus in eine eigene Wohnung. Die meisten lebten in unseren stationären Wohnstätten oder Außenwohngruppen.
Was bedeutet es für diese Menschen, fast so leben zu können wie jeder andere auch? Sind sie glücklicher? Sind sie dadurch selbständiger?
Gaßmann Das würde bedeuten, dass Bewohner unserer stationären Einrichtungen nicht glücklich sind. Es geht vielmehr darum, dass im Betreuten Wohnen wesentlich mehr Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens bestehen. Alle Hilfen werden mit den Bezugsbetreuern abgestimmt und durch die pädagogischen Mitarbeiter umgesetzt. Viele Menschen haben das Ziel einer möglichst hohen Selbständigkeit – das beginnt bereits mit der Führung des eigenen Haushaltes. Die Betreuer nehmen die Rolle der professionellen Assistenz an.
Wie sieht die Akzeptanz in der Bevölkerung aus, wenn nebenan behinderte Menschen wohnen, die eventuell schon mal etwas lauter oder einfach nur anders in ihrem Verhalten sind als die meisten von uns?
Gaßmann Auch in meiner Nachbarschaft geht es manchmal etwas lauter zu. Da spielen Kinder, da schimpfen Menschen an der Kasse im Supermarkt, da feiern Menschen Feste und lachen. Das finde ich ganz normal. Ich sehe da gar keinen Unterschied, ob es sich dabei um Menschen mit oder ohne Behinderung handelt. Die Lebenshilfe ist in den Städten des Kreises Mettmann seit Jahrzehnten sehr aktiv, und wir fühlen uns gut von der Bevölkerung angenommen. Das Mittendrin ist für uns von größter Bedeutung, wir gehen aktiv auf die Menschen im Umfeld zu. Ich bin sehr glücklich, dass es seitens der Nachbarn nur selten Beschwerden oder Bedenken gibt. Teilhabe und Selbstbestimmung heißt natürlich auch, dass wir gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Und dazu gehört, dass wir auf ein gutes Miteinander achten. Und ganz häufig stoßen die von uns begleiteten Menschen auf eine sehr positive Resonanz.
Geplant ist das Betreute Wohnen auch für Menschen mit höherem Unterstützungsbedarf bis hin zur Rundumpflege? Reicht da das Personal? Oder gibt es auch bei Ihnen einen Pflegenotstand?
Gaßmann Im stationären Wohnen begleiten wir seit über 30 Jahren Menschen mit sehr hohem Unterstützungsbedarf, auch bis zum Lebensende. Mit neuen Gesetzen soll Menschen mit einer Behinderung die Teilhabe der Gesellschaft in allen Lebensbereichen ermöglicht werden. Das bedeutet eben auch das Wohnen in einer ganz normalen Wohnung, wenn jemand umfangreiche Hilfen braucht. In Teams werden auch dort Pädagogen und Pflegefachkräfte tätig sein. Auch wir suchen pädagogische und pflegerische Fachkräfte. Aber von einem Mangel müssen wir in der Regel glücklicherweise noch nicht sprechen. Mehr denn je, ist es daher wichtig, als attraktiver Arbeitgeber bekannt zu sein. Hier haben wir in den vergangenen Jahren viel getan. Ein Beleg dafür ist, dass unsere Auszubildenden fast immer nach der Ausbildung bei uns bleiben. Neben betrieblichem Gesundheitsmanagement und vielfältigen Mitwirkungsmöglichkeiten, bilden wir unsere Mitarbeiter kontinuierlich fort.
Wie viele Außengruppen gibt es mittlerweile im Kreis Mettmann? Gaßmann Wir haben fünf Außenwohngruppen in Langenfeld und Monheim. Sie werden oft mit dem Betreuten Wohnen verwechselt, gehören aber zum stationären Wohnen. Die Außenwohngruppen waren in den 90er Jahren die Vorläufer unserer ambulanten Angebote. Das Betreute Wohnen findet in Einzelwohnungen, Paarwohnen bis hin zu vier Wohngemeinschaften mit mehr Personen statt.
Ist es leicht, für ihre Gruppen entsprechende Wohnungen zu finden? Gaßmann Nein, ganz im Gegenteil. Das Wohnen wird über die Grundsicherung finanziert, daher sind die Menschen auf Sozialwohnungen angewiesen. In unserer Region ist es äußerst schwierig, diese zu finden. Hinzu kommt die Schwierigkeit dazu, dass öffentliche Verkehrsmittel gut erreicht werden müssen. Wir suchen ständig nach kleinen und großen Wohnungen.
“Im Betreuten Wohnen bestehen mehr Möglichkeiten eines selbstbestimmten Lebens.“
Uli Gaßmann
Die Lebenshilfe wurde 1963 als Elternverein in Ratingen gegründet. In der Region betreut sie 150 Kinder in der Frühförderung, 234 Menschen mit geistiger Behinderung leben in verschiedenen Wohnformen und 90 Familien werden vom Familienunterstützenden Dienst betreut. Wer bezahlt diese alles? Gaßmann Es handelt sich um verschiedene Kostenträger, angefangen vom Kreis Mettmann, über das örtliche Sozialamt, Krankenund Pflegekassen, bis hin zum Landschaftsverband Rheinland als überörtlicher Sozialhilfeträger. Die Lebenshilfe hat vor vielen Jahren zudem eine Stiftung gegründet, die für besondere Zwecke einspringt. Gleichzeitig freuen wir uns über Spenden. Zuletzt haben wir hierdurch dadurch tolle Tandems für das begleitete Radfahren anschaffen können.