Bayern kriselt zur Wiesnzeit
Die schlechte Form der Nationalspieler aus München wird auch für Bundestrainer Joachim Löw für die anstehenden Spiele in der Nations League gegen die Niederlande und Frankreich zu einem Problem werden.
MÜNCHEN Die Öffentlichkeit scheuen Bayern Münchens Stars schon mal nicht. Trotz der für Münchner Verhältnisse überaus beängstigenden Negativserie von vier Pflichtspielen ohne Erfolg und dem vorläufigen Tiefpunkt beim 0:3 gegen Borussia Mönchengladbach erschienen die Profis zum üblichen Termin auf dem Oktoberfest. Tapfer wurden Maßkrüge gestemmt und passende Tracht präsentiert. Nur das Lächeln für die Kameras wirkte ein bisschen aufgesetzt.
Immerhin scheint die Lage beim zunächst mal von der Spitze verdrängten Branchenführer nicht so ernst wie vor acht Jahren. Damals regierte noch Louis van Gaal als Trainer. Er hatte sein Team zwar ins Champions-League-Finale (0:2 gegen Inter Mailand) geführt, aber gemeinsam mit seinen satten Helden hatte er sich zur Wiesn-Zeit auch einen 13-Punkte-Rückstand auf die Tabellenspitze eingehandelt. Die Klubführung reagierte unverzüglich. Lederhosen und Haferlschuhe blieben im Schrank, der Wiesn-Besuch wurde abgesagt. Das war Teil der Götterdämmerung für van Gaal. Der Holländer musste ein halbes Jahr später gehen.
So weit ist es bei Niko Kovac noch nicht. Aber der seit Sommer neue Mann auf der Münchner Bank weiß, was die Stunde geschlagen hat. „Ich kenne die Mechanismen im Fußball, ich weiß, dass die Zeit beim FC Bayern anders läuft als anderswo“, sagte er. Nach zwei Champions-League-Spielen, einer Pokalpartie und sieben Begegnungen in der Bundesliga arbeitet er bereits auf Bewährung. „Der Trainer muss den Kopf hinhalten“; erklärte Präsident Uli Hoeneß kühl und scharf. So aufregend ist es beim Rekordmeister.
Das Problem für Kovac sind nicht allein die vier fehlenden Erfolgserlebnisse hintereinander. Schwerer wiegt, was seine Mannschaft fußballerisch dabei anbot. Das Team zeigt zunehmend weniger Zusammenhalt, es lebt allein von der Qualität einzelner Spieler, aber es findet weder Rhythmus noch Tempo. Hinzu kommen verblüffende Fehler, die auch damit zu tun haben, dass die vorläufig mal einstweiligen Seriensieger nun immer häufiger ins Nachdenken geraten, statt aus dem Gefühl der spielerischen Leichtigkeit zu handeln. „Wir sind auch nur Menschen“, hat Nationalspieler Thomas Müller gesagt.
Bei der schweren Krise im vergangenen Herbst war die Fehlerdiagnose einfacher als jetzt. Damals fehlte neben einer fußballerischen Idee vor allem Fitness. Dieses Problem konnte Jupp Heynckes als Nothelfer beheben, weil er zum einen ein Fußballlehrer im Wortsinn ist, zum anderen ein großer Kommunikator und bei den Spielern ein hochverehrter Fachmann. Wie weit das Zutrauen der Bayern in Kovac ist, muss sich jetzt herausstellen. Und natürlich gibt es aus dem Umfeld die üblichen Gerüchte, nach denen es dem Trainer an natürlicher Autorität fehle.
Vielleicht fällt es den vielen großen Spielern im Team schwer, einen als Chef anzuerkennen, in dessen Vita keine zweiseitige Titelsammlung zu finden ist. Vielleicht haben die Dauermeister der vergangenen Jahre auch schlicht ein Motivationsproblem. Vielleicht sind sie zu satt.
Darauf muss Kovac ebenso eine zufriedenstellende Antwort finden wie auf die Frage, ob seine wesentlichen Spieler aus Altersgründen den hohen Ansprüchen des Klubs nicht mehr gerecht werden. Sicher ist, dass die Flügel nicht mehr im Dreitage-Rhythmus des Spitzenfußballs mit Arjen Robben (34) und Franck Ribéry (35) besetzt werden können. Das sehen lediglich die beiden betagten Herren anders. Und das birgt zusätzliches Spannungspotenzial im Verhältnis Trainer-Spieler. Hinter Robben und Ribéry klafft eine Qualitätslücke. Kingsley Coman ist noch lange verletzt, Serge Gnabry hat seine Eignung für die ganz große Bühne noch nicht nachgewiesen.
In der Abwehr, nach alter Lesart für den Gewinn von Titeln wichtiger als die Offensive, haben vor allem
die beiden Weltmeister Mats Hummels und Jerome Boateng sehr viel mit sich selbst zu tun. Ihr Spiel wirkt phlegmatisch, fehlerhaft, schlecht abgestimmt. Und Hummels scheint ohnehin nicht der Lieblingsspieler des neuen Trainers zu sein. Kovac lässt ihn bislang gern zusehen. Das macht eine neue Baustelle auf, weil Hummels als sehr begabter Öffentlichkeitsarbeiter (in eigener Sache) gilt.
Das gesamte Aufgebot des Rekordmeisters ist viel zu dünn aufgestellt. Nach Verletzungen ist nur noch ein Außenverteidiger (Kimmich) fit, Juan Bernat, eine mögliche Zweitbesetzung, ließen die Bayern ohne Not ziehen. So richtig zu beneiden ist Kovac nicht. Und es wird ihn nicht weiterbringen, dass van Gaal nach dem 1:1 zwischen München und Ajax Amsterdam voller Vergnügen feststellte: „Die Bayern-Mannschaft ist überaltert, der Verein hat es versäumt, die Mannschaft zu erneuern.“Das sollte vor allem van Gaals alten Freund Hoeneß treffen. Kovac aber muss Lösungen finden. Den Eindruck einer allgemeinen Ratlosigkeit will er nicht bestätigen. „Ich bin nicht ratlos“, sagte er, „ich weiß ja, warum es nicht geklappt hat.“Ob das Wissen aber auch die richtigen Werkzeuge für die Reparatur der viele Jahre glänzend laufenden Bayern-Maschine an die Hand gibt, ist eine ganz andere Frage.
Sein Amtskollege Joachim Löw wird die Bayern-Probleme mit leiser Bestürzung zur Kenntnis nehmen. Denn sieben Spieler in seinem Kader für die Nations-League-Spiele in Holland (13. Oktober) und Frankreich (16. Oktober) verdienen ihr Geld bei Bayern München.