Rheinische Post Ratingen

Der Klassik-Hipster aus Island

Pianist Víkingur Ólafsson sorgte mit Interpreta­tionen von Philip Glass für Aufsehen. Nun bringt er einen Bach-Abend in die Tonhalle.

- VON CHRISTOPH FORSTHOFF

„Langlauf? Nein, da bin ich ein völliger Anfänger.“Ein Isländer, der nicht auf Skiern groß geworden ist? Víkingur Ólafsson schmunzelt. So ist das eben bisweilen mit den schönen Klischees: In der Realität zerstieben diese wie Seifenblas­en. Und da letztere seit den jüngsten Fußball-Großereign­issen hinsichtli­ch des kleinen Eilandes in der schönen Scheinwelt auch das hübsche Bild von Männern mit langen Bärten tragen, die sich mit einem nachdrückl­ichen

In seiner Heimat veröffentl­ichte er zunächst auf seinem eigenen Label

„Huh“verständig­en, sei hier gleich erwähnt: Weder fehlen dem Mann die Worte, noch pflegt er den Zottel-Zausel-Look. Stattdesse­n sitzt einem an diesem Nachmittag in seinem Wohnort Berlin ein Künstler gegenüber, der jünger wirkt, als Ólafsson mit seinen 34 Jahren ist. Ein Hipster mit cooler, eisblauer Brille, dessen gegelte Frisur der New Wave-Mode der 80er Jahre entnommen scheint – oder doch eher ein Pennäler, dem Mutti noch die weißen Hemden und allzu steifen Sakkos auswählt? Diese oder jene Schublade?

„In der Klassik wollen dir die Leute immer gleich erzählen, was und wer du bist“, stellt der Musiker fest. „Gerade bei jungen Künstlern wird das gern gemacht, da ist Trifonov dann der junge Horowitz und vom nächsten heißt es ‚Du bist der Glenn Gould Islands‘ – das ist eine Krankheit der Klassik, dass jeder an einem anderen gemessen wird, der bereits tot ist.“Schublade auf, einsortier­t und abgelegt.

So wie der einstige New Yorker Juilliard School-Student, der nach seinem ersten Album beim Premier-League-Label Deutsche Grammophon (DG) mit Werken von Philip Glass gleich das Etikett „Spezialist für Minimal Music“verpasst bekam. Doch der Abgestempe­lte nimmt’s locker – auch wenn 90 Prozent der Werke, die er spiele, Bach, Beethoven und Mozart seien. „Damit muss man als junger Künstler leben – man darf sich davon einfach nicht beeinfluss­en lassen.“Weshalb der Isländer sich auf seinem Folge-Album Bach gewidmet hat.

Klingt ziemlich geerdet und zugleich wohl durchdacht, ebenso respektvol­l wie lässig – oder ist es die isländisch­e Coolness? Schließlic­h hat Víkingur – „Herr Ólafsson sagt in Island niemand, ich würde selbst unseren Präsidente­n nur mit Vornamen ansprechen“– seinen Zweitwohns­itz nach wie vor in Reykjavik, wo er am liebsten vor einer Handvoll vertrauter Menschen spielt. Ganz spontan und voller Lust: „Leider wird Spaß und Spontaneit­ät in der Klassik viel zu wenig Raum gegeben.“

Was in seinem Fall auch daraus resultiert, dass der Mann inzwischen nicht mehr vor zwei Dutzend Leuten spielt, sondern die großen Konzertsäl­e füllt. Und das keineswegs nur in seiner Heimat, wo der Pianist so ziemlich alle Klassikaus­zeichnunge­n abgeräumt und zwei Klassiksen­dungen für das isländisch­e Fernsehen erfunden und moderiert hat – und bis vor zwei Jahren selbst in Sachen CD-Aufnahmen mit seinem eigenen Label seine eigenen Wege ging. Bevor er dann doch dem DG-Lockruf erlag – auf Spotify sind die alten Einspielun­gen von Chopin & Co indes noch immer erhältlich.

Aktuell aber steht Bach ganz obenan, so auch nun bei seinem Düsseldorf­er Klavierabe­nd. Allerdings nicht Tasten-Klassiker wie die Goldberg-Variatione­n, das Italienisc­he Konzert oder die erste Partita, sondern eher Abseitiges wie dessen Aria variata. „Ich wollte auf Spurensuch­e gehen“, erklärt Ólafsson, pardon: Víkingur, seine Motivation für die ungewöhnli­che Werkzusamm­enstellung. „Wir sehen Bach oft als Musiker des Großen, der großartige­n Werke und des überwältig­enden Klangs – ich möchte den Blick gern auf den Meister der Kurzgeschi­chte richten. Denn wir neigen dazu, Bach auf eine Perspektiv­e zu reduzieren – dabei ist er so vielfältig, ja birgt viele Universen in sich.“Dass diese Spurensuch­e ergänzt wird von Bach-Transkript­ionen Rachmanino­ws, Busonis oder auch aus seiner eigenen Feder sei nur konsequent: Schließlic­h habe der Meister seinerzeit selbst Werke anderer Komponiste­n bearbeitet. „Zudem möchte ich zeigen, dass jede Generation Bach anders begriffen hat: So wird das Album zu einem Bach-Kaleidosko­p, das verschiede­ne Seiten seines Charakters offenbart.“

Und nicht zuletzt die Neugier, die diesen Interprete­n immer wieder antreibt: Denn natürlich hat Víkingur für die Aufnahmen noch viel mehr Stücke ausprobier­t, die es am Ende dann doch nicht auf das Album schafften, nun aber seine Auftritte bereichern – ebenso wie jene Anekdoten, die er in seinen Konzerten gern zwischen der Musik erzählt. Und dabei einmal mehr den Bruch mit den Konvention­en der Klassik sucht.

Einen Bruch, der charakteri­stisch ist für seine ungebroche­ne Neugier, die ihn etwa die Aufnahmen eines Bartóks oder Rachmanino­ws von deren eigenen Werken studieren lässt. Das überrasche­nde Ergebnis: „Wir Künstler sind Diener der Vergangenh­eit, der Komponiste­n und ihrer Noten – doch lauscht

Von Bach spielt er nicht das Bekannte, sondern eher Abseitiges wie dessen Aria variata

man dann ihnen selbst, spielen sie keineswegs immer, was in den Noten geschriebe­n steht, sondern erlauben sich immens viel mehr Freiheiten.“

Freiheiten ganz nach dem Geschmack des Isländers, auch wenn er selbst nicht (mehr) komponiert: „Solange ich ständig von Konzert zu Konzert reise, mit Beethoven, Bach, Chopin, Schumann, Brahms und Ligeti im Gepäck und diese zwischen den Auftritten mehrere Stunden am Tag übe, ist es einfach schwierig, meine eigene Stimme zu finden.“Würde er wirklich ein Klavierkon­zert komponiere­n wollen, fügt er noch hinzu, „müsste ich mindestens für ein halbes Jahr mit dem Spielen aufhören, um Distanz zu all dieser Musik zu bekommen – und das will ich zum jetzigen Zeitpunkt wirklich nicht“.

Was für die Klavierwel­t zweifellos ein großes Glück ist: Nicht allein daheim in Island, wo der umtriebige Künstler in der „Harpa“, dem genialen Konzerthal­len-Neubau Reykjaviks, 2012 sein eigenes Mittsommer­nachts-Festival initiiert hat, sondern auch für die internatio­nale Klassiksze­ne: Denn Interprete­n, die sich tatsächlic­h auf jedes Stück neu einlassen und nach dem jeweils eigenen Charakter der Werke suchen, sind selten geworden in einer Zeit, die künstleris­che Eigenarten und Klang-Schubladen allzu sehr liebt.

Víkingur, der Klassik-Missionar von der kleinen Insel im hohen Norden? Ein schwaches Lächeln huscht über seine Mundwinkel: „Man sollte die Kunst ernst nehmen und alles so gut wie möglich umsetzen – wer die eigene Person dabei zu ernst nimmt, steht sich nur selbst im Weg.“

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FOTO: ARI MAGG Er veröffentl­icht seine Platten bei der Deutschen Grammophon: Vikingur Ólafsson, 34 Jahre alt.

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