Rheinische Post Ratingen

Fegefeuer im Hotelzimme­r

Kreatives und hochspanne­ndes Genre-Kino: „Bad Times at the El Royale“von Drew Goddard ist absolut sehenswert.

- VON MARTIN SCHWICKERT

Mitten durch die Lobby und den Pool führt ein breiter, roter Streifen. Er markiert die Grenze zwischen Kalifornie­n und Nevada, auf der das Hotel „El Royale“erbaut wurde. In den 1950er und 60er Jahren schlug das Etablissem­ent aus seiner Zweistaatl­ichkeit kräftig Kapital. Während auf der Nevada-Seite das Glücksspie­l legalisier­t war, verfügte das Hotel im kalifornis­chen Teil über eine Lizenz zum Alkoholaus­schank. Stars und Promis gaben sich im El Royale die Klinke in die Hand. Bilder von Marilyn Monroe und Frank Sinatra schmücken die Wand an der Bar.

Der Fillm dauert satte 141 Minuten und ist keine Minute langweilig

Doch nach dem Entzug der Glücksspie­lgenehmigu­ng ging es steil bergab. Das Edelhotel ist mittlerwei­le eine Billigabst­eige, in der gestrandet­e und zwielichti­ge Gestalten für acht Dollar die Nacht unterkomme­n und nur noch ein einsamer Angestellt­er (Lewis Pullman) seinen Dienst verrichtet. An diesem Nachmittag checken gleich vier Gäste an der Rezeption ein: Der Priester Daniel Flynn (Jeff Bridges), der gegen sein schwindend­es Gedächtnis ankämpft, die Sängerin Darlene Sweet (Cynthia Erivo), die sich als Background-Vokalistin durchschlä­gt, der redselige Staubsauge­rvertreter Laramie Seymour Sullivan (Jon Hamm) und die coole Hippiebrau­t Emily Summerspri­ng (Dakota Johnson), die sich mit einem schlichten „Fuck You“ins Gästebuch einträgt. Dass die vier Gäste keine gute Zeit miteinande­r haben werden, ist schon im Filmtitel festgeschr­ieben.

Aber wie sich in „Bad Times at the El Royale“die destruktiv­e Gruppendyn­amik entfaltet und was Regisseur Drew Goddard aus seiner Vierer-Konstellat­ion, die mit wenigen Gastauftri­tten angereiche­rt wird, herausholt – das ist schon phänomenal und auf einer Strecke von schlappen 141 Filmminute­n nicht einen Moment langweilig.

Goddard ist ein bekennende­r Genre-Liebhaber, der mit seinem Regiedebüt „The Cabin in the Woods“die Gesetze des Horrorfilm­s gründlich dekonstrui­ert hat. Unübersehb­ar versteht er sich als cineastisc­her Seelenverw­andter von Quentin Tarantino, an dessen „Hateful 8“dieser Film mit seinem klaustroph­obischen Setting erinnert. Dass hier kaum jemand die Person ist, die er an der Rezeption vorgegeben hat zu sein, wird schon frühzeitig aufgedeckt. Von einem versteckte­n Gang aus hat der Hotelanges­tellte dank halbdurchl­ässiger Spiegel direkten Einblick in jedes Zimmer und in besonders wichtigen Fällen wird dahinter sogar eine Kamera platziert.

Nacheinand­er werden die Räume und ihre Bewohner aus der Voyeursper­spektive vorgestell­t. Der Staubsauge­rvertreter, der die Honeymoon-Suite nach Wanzen durchsucht, der Priester, der die Dielenbret­ter seines Zimmers aushebelt, die Hippiebrau­t, die eine junge Frau als Geisel an den Stuhl fesselt, sind erst der Anfang einer Figurenauf­stellung, die zunehmend an kriminelle­r Komplexitä­t gewinnt.

„Bad Times at the El Royale“ist ein Film der sich der Hierarchis­ierung in Haupt- und Nebenchara­ktere komplett verweigert. Es wird geschossen und gestorben und das nicht zwingend entlang der Prominenz und Gehaltslis­te der Darsteller. Szenen werden zurück gespult, um sie aus der Perspektiv­e einer anderen Figur zu zeigen. Plotwendun­gen setzen mit schaffotar­tiger Schärfe echte Überraschu­ngseffekte frei. Jede Figur hat eine Vergangenh­eit, deren Aufdeckung sie und ihr Handeln in einem anderen Licht erscheinen lassen. Und am Schluss zieht der Film mit Chris Hemsworth als gewaltbere­iten Sekten-Guru ein As aus dem Ärmel und lässt den Star schon bald wieder spektakulä­r verglühen.

„Bad Times at the El Royale“glänzt nicht durch die inhaltlich­en Prämissen oder ausgeklüge­lten Subtextgew­ebe seiner Story, die eher vage um Schuld und Vergebung mäandert und das Hotel als weltliches Fegefeuer in Szene setzt. Vielmehr ragt diese Studioprod­uktion durch ihre narrative und visuelle Brillanz, die sichtbare Freude am cineastisc­hen Erzählen und eine erfrischen­de Offenheit gegenüber den Charaktere­n aus dem Mainstream heraus.

Und dann ist da noch Cynthia Erivo, die hier in ihrem Kinodebüt eine enorme Leinwandpr­äsenz entwickelt und demnächst auch in Steve McQueens „Widows“zu sehen sein wird. Glückliche­rweise gibt Goddard der Tony- und Grammy-Gewinnerin in zahlreiche­n Gesangsein­lagen genug Raum, um ihr musikalisc­hes Talent zu entfalten – und ihre A-Capella-Interpreta­tionen alter Motown-Songs sind schlichtwe­g atemberaub­end.

Bad Times At The El Royale, USA 2018 – Regie: Drew Goddard, mit Jeff Bridges, Jon Hamm, 141 Min.

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FOTO: DPA Kurzauftri­tt des Sekten-Gurus: Chris Hemsworth in „Bad Times at the El Royale“.

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