Ganz nah dran
5000 Fans kommen zum öffentlichen Training des DFB-Teams. Im Fußball ist Frust wohl nur eine Momentaufnahme.
DÜSSELDORF Am 17. Juni 2018 war der Graben so tief wie nie zuvor. Es war der Tag des Gruppenspiels zwischen Deutschland und Südkorea, der Tag, an dem das deutsche WM-Debakel besiegelt wurde. Frustration und Enttäuschung entluden sich nach dem 0:2 – beim Public Viewing, in Kneipen und in Wohnzimmern. Nicht nur über die Tatsache des historisch frühen Ausscheidens der deutschen Nationalmannschaft in Russland, sondern besonders über die Art und Weise war das Fußballvolk empört. Der Spott der Fans gipfelten im höhnischen Applaus für engagierte Südkoreaner. „Schland“war raus. Und die Fans bedient.
Der Fußball mutete da geradezu als Seismograph der Gesellschaft an. Ähnlich wie der wankenden Bundeskanzlerin Angela Merkel, hatten nicht wenige Bundestrainer Joachim Löw vorgeworfen, sein Gespür für die eigenen Leute verloren zu haben. Dreieinhalb Monate sind seither vergangen. Kaum zu glauben, wie sich zumindest im Fußball das Blatt gewendet hat.
Volksfeststimmung herrschte am Dienstag im Hertha-Amateurstadion in Berlin. 5000 Zuschauer sorgten dafür. Sie füllten die Ränge, schossen Fotos und Selfies und genossen die Nähe zur Nationalmannschaft. Beim ersten öffentlichen Training seit rund vier Jahren gab es die von vielen ersehnte Nähe. Dort in Berlin ist ein erster Schritt seitens der Mannschaft getan worden – wenn auch vom Verband angeschubst. Fans und Team. Es scheint wieder zusammenzuwachsen, was zusammengehört. Aber geht das so schnell?
Deutschlands wohl renommiertester Fanforscher glaubt, dass ein Anfang gemacht ist. Gunter Pilz, der sich als Sportsoziologe einen Namen gemacht hat, ist von dem großen Andrang am Rande des Trainingsplatzes wenig überrascht: „Der Frust nach dem WM-Aus war eine Momentaufnahme. Alle Fans sind gespannt, was nun nach dem WM-Debakel passiert“, sagt Pilz. „So ein Trainingsbesuch ist eine Kompensation von Entzugserscheinungen. Und bei so einem öffentlichen Training ist die Neugierde größer als der Frust über Erfolglosigkeit.“
Sonne, Applaus und Heiterkeit in Berlin. Auf den Rängen waren keine Anhänger in Kutten zu sehen, wie zuweilen an Trainingsplätzen der Bundesligaklubs. Die Anhängerschaft des Nationalteams besteht offenkundig aus Jugendmannschaften und Familien. „Die meisten Deutschlandfans sind leidenschaftliche, im positiven Sinne verrückte Fußballliebhaber. Sie suchen die Nähe zu den Spielern, die auch Idole sind“, sagt der Fanforscher. Die Pflege dieser treuen Begleiter hatte der Deutsche Fußball-Bund zuletzt vernachlässigt.
In der Vergangenheit hatte der DFB öffentliche Trainings strikt vermieden. Pilz kritisiert für die Entfremdung einerseits die Nationalspieler, die sich weder bodenständig noch nahbar, sondern abgehoben verhalten hätten. Und vor allem übt er Kritik am Teammanager: „Es war maßgeblich die Teamleitung, namentlich
Manager Oliver Bierhoff, der wesentlich bestimmt hat, dass sich das Nationalteam abgeschottet hat.“Immerhin ist das auch Bierhoff, nach sechs Wochen tüchtigen Nachdenkens, nach der WM aufgegangen: „Irgendwie sind wir da den Bedürfnissen unserer Anhänger nicht näher gekommen“, hatte er erklärt.
Ein guter Zeitpunkt ist es jedenfalls, um Wogen zu glätten. Zwei wichtige Duelle stehen bevor. In der Nations League muss Deutschland gegen die Niederlande (Samstag, 20.45 Uhr) und gegen Weltmeister Frankreich (Dienstag, 20.45 Uhr) in Amsterdam und in St. Denis antreten. Nur der Gruppensieger qualifiziert sich für das Finalturnier im Juni 2019. Das sind auswärts keine leichten Aufgaben. Mut dürfte der Rückhalt der Fans machen.
Dennoch muss sich das einstige Zugpferd des deutschen Fußballs, das früher selbst bei bedeutungsarmen Freundschaftsspielen die Stadien füllte, weiter bemühen. „Die Nationalmannschaft muss sich den Kredit wieder neu erwerben. Dazu gehört auch, dass sie sich fannäher gibt. Der DFB hat erkannt, dass öffentliches Training ein richtiges und gutes Mittel ist“, sagt Pilz, der den beiden anstehenden Spielen in dieser Hinsicht keine allzu große Bedeutung beimessen will: „Diese zwei Spiele sind nicht entscheidend. Deutschland hat den Zuschlag für die EM 2024 erhalten. Es ist genug Zeit, wieder etwas zu entwickeln. Ich glaube nicht, dass es einen Bruch mit den Fans geben wird.“
Die zeitweise entrückte Mannschaft hat sich mit der Aktion in Berlin ein wenig auf die Anhänger zubewegt. Der DFB hat eine Wiederholung im November bereits angekündigt.