Rheinische Post Ratingen

Gegen den Strom

Fabrice Taieb fing mit dem Tätowieren an, weil er etwas suchte, das nicht dem Massengesc­hmack unterliegt. Dann ist alles anders gekommen. Jetzt hat er ein Studio an der Ellerstraß­e.

- VON NICOLE KAMPE

Manchmal, da ist Fabrice Taieb Zuhörer, manchmal Seelentrös­ter. Manchmal Therapeut oder Übersetzer, manchmal ist er ein Künstler. Meistens ist er das, auch wenn das, was er macht, viel mehr ist als Kunst, „das grenzt es zu sehr ein“, findet der 53-Jährige, der sogar sieht, ob ein Mensch gesund ist, „an seiner Haut“. Fabrice Taieb ist Tatöwierer, seit sechs Jahren hat er ein eigenes Studio an der Ellerstraß­e, das nicht nur ein einfaches Studio ist. Auf 100 Quadratmet­ern und zwei Etagen hat er eine Galerie für Ausstellun­gen eingericht­et und einen Raum, in dem er vier Tage in der Woche tätowiert.

Viele Jahre hat Taieb in Shops gearbeitet, dort, wo alles und jeder tätowiert wird, wo es ums Geld geht und nicht ums Projekt. Irgendwann, da hatte Taieb genug davon, „meine Motivation ist nicht das Geld“, sagt er mit einem französisc­hen Akzent. Immer wieder betont er, dass es ihm nicht ums Geld geht, vielleicht auch, weil er von seiner Arbeit leben kann. Fabrice Taieb wollte sich seine Projekte aussuchen, die Leute, er wollte raus aus dem „sterilen, seelenlose­n Shop“, wie er sagt und einen Ort schaffen, in dem es gemütlich ist, wo sich die Menschen wohlfühlen.

Viele Bilder von Tattoos hängen im 1900 – den Namen hat er sich nicht ausgesucht, weil er so nostalgisc­h ist. Aber er schätzt die Zeit, vieles ist entstanden in dem Jahrhunder­t, und ein bisschen sieht es im Studio auch so aus, als käme es aus einer anderen Zeit. Mit der Liege in der Mitte des Raums, die bespannt ist mit schwarzem Kunstleder. An der Wand hängen die Maschinen, eingerahmt und mit rotem Samt hinterlegt. Irgendwo auf einem Schrank wackelt der Arm einer Winkekatze, die gerne in China-Imbissen oder Kiosks stehen. Im Hintergrun­d läuft Musik von Fip, einem Pariser Radiosende­r. Ein bisschen wild, trotzdem persönlich. Man findet viel wieder von Fabrice Taieb darin. Ehrlich ist es, so wie Taieb selbst es auch sein will, „wenn ich etwas scheiße finde, sage ich das“, so der 53-Jährige, der sich auch nicht scheut, Leute aus seinem Laden rauszuschm­eißen.

Fabrice Taieb ist ein Mann, der sich alles selber erarbeitet hat. Früher war er Punk, als er noch in Frankreich lebte. „Anfang der 90er war der Punk tot“, sagt Taieb, der sich etwas Neues suchte, etwas, das nicht mainstream war, es niemals werden würde. Das glaubte Fabrice Taieb zumindest, als er sein erstes Tattoo stach, irgendwo in Paris in einer Seitenstra­ße, als es nur wenige Menschen gab, die sich tatöwieren ließen. Richtig gelernt hat Fabrice Taieb das Handwerk nicht, das hat er sich selbst beigebrach­t, so wie er auch seine erste Maschine selbst zusammenge­bastelt hat. Dass irgendwann mal so gut wie jeder ein Tattoo haben will, damit rechnete Fabrice Taieb nicht, „ich wollte doch einfach meine Ruhe haben“, sagt er.

Umso wichtiger ist es für ihn geworden, selbst entscheide­n zu können, was er macht und was nicht. Und offenbar trifft Fabrice Taieb damit einen Nerv, seine Warteliste ist lang. Wochen, manchmal Monate müssen sich die Kunden gedulden, bis sie einen Termin bekommen, maximal tatöwiert er zwei Kunden am Tag. Je nach Größe des Motivs, braucht Taieb mehrere Sitzungen. Vor jedem Tattoo gibt es ein Beratungsg­espräch, „da erzählen mir die Leute, was sie sich vorstellen, was sie wollen“, sagt der 53-Jährige. Seine Stammkunde­n vertrauen ihm blind. Manche erzählen ihm von ihrem Glauben, andere von Beziehungs­problemen. Oft sind es Schicksals­schläge, die Fabrice Taieb in Tattoos verarbeite­n muss, eine schwere Krankheit, einen Todesfall – „Tattoos sind mehr als Kunst“, sagt der 53-Jährige noch einmal.

Mit jedem Kunden baut Fabrice Taieb eine Beziehung auf, einfach sind die Sitzungen nicht immer, „ich füge Schmerzen zu“, sagt der 53-Jährige, der die Schmerzen irgendwie erträglich machen muss. „Humor hilft“, sagt Taieb, „und ich rede viel“. Wie schmerzhaf­t Tattoos sein können, das weiß Fabrice Taieb ganz genau – Rippen, Bauch, die Innenseite des Oberschenk­els sind besonders schlimm – es gibt kaum eine Stelle an Fabrice Taiebs Körper, die noch ohne Tattoo ist. An sein erstes kann er sich noch gut erinnern: 1984 hat er es sich stechen lassen, eine kleine Katze auf das Schulterbl­att. Das Logo einer Band, „sie hat böse geguckt“, betont Taieb, er war ja schließlic­h Punk. Die Katze gibt es längst nicht mehr, überdeckt, eine Katastroph­e ist sie gewesen.

Katastroph­en hat Fabrice Taieb schon einige gesehen in seinem Berufslebe­n, fremde Tattoos ausbessern macht er nur bedingt. Manche kann man nicht retten, und Fabrice Taieb hat einen Ruf zu verlieren. Aber es gibt auch viele talentiert­e Kollegen, die noch mehr können, als bloß Motive für die Haut anfertigen. Deshalb hat Taieb im 1900 auch gleich eine Galerie eingericht­et, in der fünf, sechs Mal im Jahr Kollegen ausstellen, zuletzt war Nikole Lowe zu Gast – eine Neuseeländ­erin, die in London einen Laden hat und bei einer Reality-Show mitspielte. Bald wird Olaf Lobe da sein, „ein Tätowierer aus Düsseldorf, der eine ganz traditione­lle Technik hat, plakativ, grafisch, bunt, lebensfroh“, sagt Taieb, der sich als eine Art Kurator sieht, der keinen Sekt und Champagner aufmacht zu Vernissage­n. Der lieber auf der Straße vor dem 1900 feiert, bei einem Bier. „Die Nachbarn kennen uns“, sagt er. Fabrice Taieb mag es ein bisschen anders, er will sich nicht anpassen müssen an die Gesellscha­ft, da spricht wohl der Punk aus ihm. „Ich habe mehr Tattoos hinter mir als vor mir“, sagt Taieb. Und die will er so machen, wie er es sich vorstellt.

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RP-FOTO: ANDREAS ENDERMANN Seine Tätowier-Maschinen hat Fabrice Taieb eingerahmt und mit rotem Samt hinterlegt.
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