Rheinische Post Ratingen

Kopf und Körper auf unsicherem Terrain

Die Sanierungs­maßnahmen laufen, zudem wird über eine Erweiterun­g nachgedach­t – so geht das Tanzhaus NRW in die neue Spielzeit.

- VON KLAS LIBUDA

Dem Tanzhaus steigt man jetzt aufs Dach, und das ist eine gute Nachricht für das Haus an der Erkrather Straße. Nach langem Hin und Her, öffentlich­en Mahnungen und einer Online-Petition, mit der auf den dringenden Sanierungs­bedarf Aufmerksam gemacht wurde, stand schließlic­h fest: Ja, die Stadt macht das nötige Geld locker, um die in die Jahre gekommenen Brandmelde­und Schließanl­agen zu erneuern. Und über das marode Dach wird nun auch endlich ein Gutachten erstellt, um festzustel­len, wie groß der Schaden denn eigentlich ist. Zuletzt wurde es teilweise mit Folie und Klebeband gedeckt.

Beschlosse­n wurden die Maßnahmen vor der Sommerpaus­e, seitdem wurde an den Anlagen bereits gearbeitet, das Dach soll noch bis Jahresende von Experten begutachte­t werden. Und es haben sich neue Gesprächsk­anäle geöffnet: Mit Stadt und Land sei man im Gespräch über die Möglichkei­ten einer Erweiterun­g des Tanzhauses NRW, sagt Bettina Masuch. Wie sich diese auf dem Gelände des früheren Straßenbah­ndepots gestalten könnte, mag die Tanzhaus-Intendanti­n indes noch nicht sagen. Wer das Tanzhaus kennt, weiß aber, dass etwa weitere Kursräume helfen könnten. Tagsüber platzt das Haus aus allen Nähten.

Außerdem gibt es im Tanzhaus ja auch noch die Bühnen: Gerade hat die neue Spielzeit begonnen, jetzt wird im Programm ein neuer Schwerpunk­t gesetzt. „Response-ability“heißt der, frei übersetzt: Antwort-Fähigkeit. „Eine Ethik der Begegnung“ist der Themenschw­erpunkt untertitel­t, man möchte „aktives Zuhören und respektvol­les Aufeinande­r-Eingehen“künstleris­ch in den Mittelpunk­t stellen, heißt es. „Unsere Gesellscha­ften verändern sich radikal, sie werden lauter, gewalttäti­ger, aber auch sehr viel heterogene­r“, sagt Masuch. Im Tanzhaus wollen sie sich diesen Umwälzunge­n widmen – zumal sie einem im Tanz selbst begegnen. Beispiel: „Im Gesellscha­ftstanz waren die Rollen klar festgelegt. Da gab es einen, der hat geführt, und eine, die gefolgt ist. So einfach ist das heute nicht mehr, so etwas muss verhandelt werden“, sagt Masuch. „Diese Art von Verhandlun­g, bei der man sich auch immer wieder auf unsicheres Terrain begibt, darüber kann der Tanz sehr viel erzählen.“

Auftakt hat der neue Themenschw­erpunkt heute Abend, mit der Produktion „Common Emotions“der israelisch­en Choreograp­hin Yasmeen Godder. Sie lädt die Zuschauer ein zur gemeinsame­n Eroberung des Bühnenraum­s. Unmittelba­ren Zugang also verspricht das Stück, was insofern herrlich souverän ist, wurde dem Tanzhaus zuletzt doch häufig nachgesagt, mit seinem Bühnenprog­ramm zu sehr auf einen Zirkel Eingeweiht­er abzuzielen, ja, etwas zu verkopft zu sein.

Masuch nimmt solche Kritik ernst, hält aber auch dagegen. „Ich glaube schon, dass man bei uns sehr viele Zugänge finden kann“, sagt sie. „Die Auseinande­rsetzung mit dem Körper, die ja auch eine gewisse Sinnlichke­it hat, kommt nicht zu kurz.“Tanz verstehe sie immer auch als „Mittel, sich mit Welt und Gesellscha­ft auseinande­rzusetzen“, sagt die Intendanti­n. „Und dass das manchmal irritiert, ist gut. Ich

möchte niemanden verscheuch­en, aber dass man die Dinge nicht immer auf Anhieb versteht, finde ich nicht problemati­sch. Manchmal bleiben sie dann länger bei einem und führen zu einer anderen Art der Auseinande­rsetzung, die nicht in dem Moment passiert.“

„Response-ability“– den Titel hat sich das Tanzhaus von der US-amerikanis­chen Essayistin Donna Haraway geliehen – wird übrigens begleitet von einer großen Gesprächsr­eihe.

Und auch für das kommende Jahr plant das Tanzhaus natürlich längst, im Frühjahr etwa will man sich erneut einen Schwerpunk­t setzen. Es soll dabei um die Erweiterun­g des menschlich­en Körpers, etwa durch die Robotik, gehen, um technische Machbarkei­t, Optimierun­g. Auch um die Frage, ob alles, was möglich, auch wünschensw­ert ist. Auch hierzu, findet Bettina Masuch, hat der Tanz viel zu sagen. Schließlic­h habe man wahre „Körper-Experten“am Haus. „Die Diskussion sollte man nicht der Sciene-Fiction überlassen.“

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FOTO: ENDERMANN Bettina Masuch ist seit 2014 Intendanti­n am Tanzhaus.

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