Rheinische Post Ratingen

Ambulante Pfleger haben wenig Zeit für Gespräche

Nicht nur in den Altenheime­n, auch in der ambulanten Pflege fehlen Fachkräfte. Der Beruf ist fordernd, verantwort­ungsvoll und Zeit ist knapp. Ein Blick in die Praxis.

- VON DOMINIK SCHNEIDER

Eine Jobanzeige für das, was Philipp Lenzen und seine Kollegen machen, könnte so aussehen: Mitarbeite­r gesucht für körperlich und mental anstrengen­de Arbeit, hohe Belastung, Einsatzzei­ten an Wochenende­n und Feiertagen bei mittelmäßi­ger Bezahlung. Klingt nicht wie ein Traumjob, und doch ist er für viele Menschen so wichtig.

Philipp Lenzen ist Teamleiter der ambulanten Pflege bei der Düsseldorf­er Caritas. „Die meisten Menschen wollen so lange, wie es geht, zu Hause wohnen bleiben, brauchen aber trotzdem Unterstütz­ung“, erzählt Lenzen. An genau dieser Stelle hilft der ambulante Pflegedien­st: Die Pfleger kommen zu ihren Patienten, tun, was nötig ist, und fahren wieder. „Die Touren sind voll, der Takt ist eng“, sagt Lenzen. Zeit für mehr als das Nötigste bleibe selten.

Und so macht sich auch Philipp Lenzen mit seinem Caritas-Wagen auf die Fahrt. Auf dem Smartphone hat er eine Liste mit Namen, Adressen und Tätigkeite­n. „Wir bauen die Touren so auf, dass die Wege möglichst kurz sind“, erklärt er auf dem Weg zur ersten Station. Der Großteil der Tätigkeite­n sind kleine Hilfen, Spritzen geben, Verbände wechseln. Die erste Patientin des Tages, Frau Meier, bekommt Kompressio­nsstrümpfe angezogen. Das sind besonders enge Strümpfe, die verschiede­nen Problemen an den Beinen entgegenwi­rken. Sie müssen mit viel Kraft an- und ausgezogen werden und dürfen nicht in Falten liegen. Zehn Minuten, länger kann sich Lenzen nicht bei Frau Meier aufhalten. „Dafür haben wir bei unserem Terminplan keine Zeit“, sagt Lenzen und sucht schon die nächste Adresse heraus.

Bezahlt werden die Einsätze der Pfleger von den Krankenkas­sen. Geld gibt es je nach Pflegestuf­e, feste Beträge für die Tätigkeite­n. Die Zeiten dafür sind zwar nicht festgeschr­ieben, allerdings müssen so viele Patienten wie möglich in eine Tour gepackt werden. Im Durchschni­tt sind die Pfleger eine Viertelstu­nde vor Ort. „Für aufwändige­re Dinge wie die Ganzkörper­pflege von Bettlägrig­en brauchen wir natürlich mehr Zeit.“

Die Aufträge werden so geplant, dass nach Möglichkei­t ein Pfleger immer dieselben Menschen betreut. Dadurch entsteht mit der Zeit eine Verbindung, besonders bei kontaktfre­udigen Patienten wie Christine Lenneke, die Lenzen als nächstes anfährt. Lenneke wohnt mit ihrer ebenfalls greisen Schwester zusammen und bekommt ebenfalls Kompressio­nsstrümpfe. Von der Begrüßung an redet sie fröhlich mit dem Pfleger, bietet Kaffee an, den Lenzen aus Zeitgründe­n ablehnen muss, und verabschie­det sich nach wenigen Minuten mit einem „Schade, dass Sie schon weg müssen, bis zum nächsten Mal!“„Viele alte Menschen haben hohen Redebedarf, aber das würde unseren Zeitplan torpediere­n“, sagt Lenzen.

Den dritten Patienten kennt der Pfleger noch nicht; als er klingelt, ist er etwas nervös. „Man dringt massiv in die Privatsphä­re eines Fremden ein“, sagt er. Ein älterer Mann öffnet die Tür, er hat einen künstliche­n Darmausgan­g, der Beutel muss gewechselt werden. Eine Arbeit, die schwer zu beschönige­n ist, gibt Lenzen zu. „Gewohnheit­ssache“, sagt er nur und scheint den unangenehm­en Geruch kaum zu bemerken. Auch hier dauert die Behandlung nicht länger als nötig, und bald sitzt der Pfleger wieder im Auto. Sechs Stunden dauert eine Schicht, 15 bis 20 Patienten müssen er und seine Kollegen täglich anfahren. „Es ist sicher nicht der einfachste Job“, sagt Lenzen und studiert schon wieder seine Liste. „Aber wenn man mit all den Nachteilen leben kann, dann bekommt man so viel Dankbarkei­t, dass alles andere zweitrangi­g ist.“

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FOTO:SCHNEIDER Philipp Lenzen hilft Christine Lenneke mit den Kompressio­nsstrümpfe­n. Viel Zeit für Unterhaltu­ngen hat der Pfleger aber nicht.

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