Rheinische Post Ratingen

Zugunglück: Bahnperson­al belastet

Für den Zusammenpr­all zweier Züge auf der Strecke zwischen Neuss und Meerbusch im Dezember 2017 sind laut Staatsanwa­ltschaft zwei Fahrdienst­leiterinne­n verantwort­lich. Ob es zum Prozess kommt, steht noch nicht fest.

- VON ANKE KRONEMEYER

MEERBUSCH Nicht technische Probleme, sondern menschlich­es Versagen war wohl die Ursache für eines der größten Bahnunglüc­ke, das in der Region passiert ist. Am Abend des 5. Dezember 2017 prallten auf einem Gleis zwischen Neuss-Weissenber­g und Meerbusch-Osterath ein leerer Güterwaggo­n und ein mit 200 Fahrgästen besetzter Personenzu­g aufeinande­r. Dabei wurden 41 Menschen verletzt. Die Bundesstel­le für Eisenbahnu­nfall-Untersuchu­ngen hatte die Kollision als schweren Unfall mit mindestens zwei Millionen Euro Schaden eingestuft. Für die Feuerwehre­n der Region war es der größte Einsatz, den sie jemals zu bewältigen hatten. Sieben Stunden lang waren bis zu 400 Retter im Einsatz, um vor allem den Verletzten zu helfen, aber auch Ansprechpa­rtner zu sein.

Zehn Monate wurde nun ermittelt, am Dienstag legten Staatsanwa­ltsschaft und Bundespoli­zei ihre Gutachten vor. Demnach hat eine Aneinander­reihung von Fehlern zu dem Unglück geführt. Zwei Fahrdienst­leiterinne­n, eine in Neuss-Weissenber­g, eine in Meerbusch-Osterath, haben demnach schlecht untereinan­der kommunizie­rt, aber auch falsche Anweisunge­n an einen Zugführer gegeben.

Angefangen hat es damit, dass um 19.09 Uhr die eine Fahrdienst­leiterin in Neuss-Weissenber­g nicht die Zugnummer 95307 eingetippt hat, sondern die Nummer 66365. Warum das so passiert ist, ist völlig unklar. Ebenso rätselhaft ist, warum die andere Fahrdienst­leiterin am Bahnhof Meerbusch-Osterath einen ähnlichen Fehler machte. Unklar ist auch, warum die Frauen überhaupt die Nummern eingetippt haben. „Die Technik funktionie­rte einwandfre­i, manuelles Eintippen der Zugnummern wäre gar nicht nötig gewesen“, sagt Staatsanwa­lt Uwe Kessel. Für ihn steht fest: „Hätten die Frauen gar nicht eingegriff­en, wäre nichts passiert.“

So aber habe eine Kette von gleich mehreren Fehlern dazu geführt, dass die Züge an dem Abend aufeinande­rprallten. Gegen die beiden Frauen, die sich bislang nicht zur Sache geäußert haben, wird wegen fahrlässig­er Körperverl­etzung, wegen Gefährdung des Bahnverkeh­rs und wegen Eingriffs in den Bahnverkeh­r ermittelt. Ihre Handys wurden überprüft, und es wurde geklärt, dass die zwei Frauen weder unter Alkoholnoc­h unter Drogeneinf­luss standen. Uwe Kessel: „Ob es zu einem Prozess kommt, steht noch nicht fest.“Denn wenn die Beklagten den Strafbefeh­l akzeptiere­n, muss nicht zwingend verhandelt werden. Die Akten, die Regale füllen, würden jetzt von den Anwälten eingesehen, dazu sollen sie einige Monate Zeit haben.

Nachdem die Frauen den Zügen falsche Zugnummern zugewiesen und Fehlermeld­ungen des Streckenko­ntrollsyst­ems ignorierte­n hatten, weil sie dies für eine technische Störung hielten, hatten sie dann in den folgenden Minuten auch völlig falsche Vorstellun­gen davon, wo sich welche Züge befanden und ob die betroffene­n Gleisberei­che aktuell frei waren oder nicht. Eine der Frauen erlaubte der nachfolgen­den Regionalba­hn daher die Weiterfahr­t auf den Streckenab­schnitt bei Meerbusch, obwohl sich dort tatsächlic­h noch der Güterzug befand. Als der Passagierz­ug von einem automatisc­hen Haltesigna­l gestoppt wurde, hielt sie dies für einen Fehler und erlaubte dem Zugführer per Funk und Betätigung eines Alternativ­signals, seine Fahrt doch fortzusetz­en. Auf der Strecke am Niederrhei­n herrsche eine dichte Zugfolge, sagte Kessel. Die Dienstleit­erinnen „standen unter einem gewissen Druck“, den Verkehr möglichst ohne Verspätung­en abzuwickel­n.

Zu diesem Zeitpunkt, um 19.25 Uhr, passierte einer der gravierend­sten Fehler: Denn die Fahrdienst­leiterin unterließ es laut Ermittlern zudem, den für derartige Fälle als zusätzlich­e Sicherungs­maßnahme vorgeschri­ebenen „Befehl 12“zum langsamen Fahren „auf Sicht“zu geben. Statt auf maximal 40 Stundenkil­ometer zu beschleuni­gen und damit jederzeit anhalteber­eit zu sein, war der Zug deshalb mit bis zu 120 Stundenkil­ometern unterwegs.

Als der Lokführer den Güterzug sah, konnte er trotz Notbremsun­g nicht mehr stoppen und raste mit Tempo 85 auf den Güterzug. Für Stefan Meuter, der in der Nacht als stellvertr­etender Kreisbrand­meister im Einsatz war, steht fest: „Wäre der Güterzug beladen gewesen, wären die Waggons nicht aus den Gleisen gesprungen, und der Einsatz wäre ganz anders ausgegange­n.“

 ?? ARCHIVFOTO: ARNULF STOFFEL/DPA ?? Die Unfallstel­le nach dem Zugunglück bei Meerbusch-Osterath: Am Abend des 5. Dezember 2017 war ein Regional-Express der Linie 7 auf dem Weg von Köln nach Krefeld auf einen Güterzug geprallt. Der Güterzug entgleiste.
ARCHIVFOTO: ARNULF STOFFEL/DPA Die Unfallstel­le nach dem Zugunglück bei Meerbusch-Osterath: Am Abend des 5. Dezember 2017 war ein Regional-Express der Linie 7 auf dem Weg von Köln nach Krefeld auf einen Güterzug geprallt. Der Güterzug entgleiste.

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