Ruhe vor dem Sturm
Nach dem Desaster in Bayern muss SPD-Chefin Nahles um Rückhalt kämpfen.
BERLIN Die Wahl in Hessen. Sie ist der einzige Bremsklotz, der die Gegner der großen Koalition in der SPD derzeit zurückhält. Was danach geschehen könnte, wird bereits in kleineren Runden besprochen. Auffällig ist, dass immer häufiger die Kritik an der Koalition mit dem Namen der Parteichefin Andrea Nahles verquickt wird. Sie, die erste Frau in dem Amt und erst seit April in Verantwortung, gerät schon in die Schusslinie. Offen spricht das aber noch kaum jemand aus.
Denn niemand will dem hessischen Spitzenkandidaten und Parteivize Thorsten Schäfer-Gümbel Steine in den Weg legen. „Wir müssen hier in Berlin jetzt mal die Klappe halten“, sagte ein Spitzengenosse am Dienstag am Rande der Fraktionssitzung. Und auch drinnen im Saal hielten sich parteilinke „Groko“-Gegner zurück.
Vielmehr überwog ein zumindest vordergründiger Schulterschluss. NRW-Landeschef Sebastian Hartmann sah sich gezwungen, sich von Äußerungen des Fraktionschefs im Landtag, Thomas Kutschaty, zu distanzieren. Der hatte gesagt, dass man als SPD nicht als Alternative wahrgenommen werde, solange man Juniorpartner sei. Hartmann betonte nun vor den Bundestagsabgeordneten, dass eine Einzelmeinung nicht die Linie des Landesvorstandes vorgebe. Er unterstütze den Zeitplan von Nahles, die für den 4. und 5. November eine SPD-Vorstandsklausur einberufen will, um die Landtagswahlergebnisse zu analysieren. Da müsse dann alles auf den Tisch, forderte Hartmann, samt Optionen für Verbleib oder Austritt aus der Koalition. In den Tagen danach wollen sich die Landesvorstände beraten und eine Entscheidung treffen.
Der frühere NRW-Landesgruppenchef Axel Schäfer sprach sich gegen einen Austritt aus und forderte für einen solchen Fall ein Mitgliedervotum. „Es ist Quatsch, jetzt den Austritt aus der Regierung herbei zu schreien“, sagte Schäfer. „Und selbst wenn das einige Genossen wollten, müssten wir für einen Austritt unsere Mitglieder fragen. Das ist der neue Standard“, so der Europaexperte.
Zumal in der SPD Einigkeit herrscht, dass man nicht wegen möglicherweise zwei verlorener Landtagswahlen das Bündnis mit der Union aufkündigen könne. Wichtiger, und da ist Nahles direkt gefordert, sei ein Plan zur Zukunft der Koalition. Das sei Nahles’ Chance, heißt es intern. Überzeuge sie nicht, sei alles offen.
Heino Wiese, SPD-Berater und früherer Geschäftsführer der Partei in Niedersachsen, wünscht sich unterdessen bereits die beiden ExSPD-Chefs Sigmar Gabriel und Martin Schulz zurück. „Für die Partei geht es jetzt um die schiere Existenz“, sagte er. Wenn die SPD als Faktor in der Politik überleben wolle, müsse sie jetzt gemeinsam kämpfen. „Es war ein Fehler von Nahles und Scholz, die beiden populärsten Sozialdemokraten Sigmar Gabriel und Martin Schulz in die Wüste zu schicken“, sagte er. Mehr denn je würden sie jetzt gebraucht. „Will Nahles selbst überleben, muss sie Größe zeigen und die beiden zurückholen“, sagte Wiese.