Rheinische Post Ratingen

Krisentref­fen in Riad

Der Fall des getöteten Journalist­en Chaschukds­chi ist für die USA ein Problem. Präsident Trump möchte gute Beziehunge­n zu Saudi-Arabien. Aber das Land agiert eigenartig.

- VON THOMAS SEIBERT

ISTANBUL Die Suche dauerte bis in die frühen Morgenstun­den. Nach mehr als neun Stunden verließen Experten der türkischen Spurensich­erung vor Sonnenaufg­ang am Dienstag das Gebäude des Konsulats von Saudi-Arabien in Istanbul. Ob sie neue Hinweise auf den Tod des vermissten saudischen Dissidente­n Dschemal Chaschukds­chi gefunden hatten, blieb offen. Doch unter dem wachsenden Druck der Ermittlung­en und internatio­naler Proteste bewegt sich die Führung in Riad inzwischen auf das Eigeständn­is zu, dass Chaschukds­chi im Konsulat starb – für den Ölstaat am Golf und seinen starken Mann, Kronprinz Mohammed bin Salman, könnte der Fall aber trotzdem glimpflich ausgehen.

Seit Chaschukds­chi am 2. Oktober von einem Besuch in dem Konsulat im Istanbuler Stadtteil Levent nicht mehr zurückkehr­te, lässt die türkische Polizei immer wieder Ermittlung­serkenntni­sse an die Öffentlich­keit durchsicke­rn, die auf einen Mord hindeuten. Demnach soll ein 15-köpfiges Killerkomm­ando aus Riad an jenem Tag nach Istanbul gekommen sein. Ton- und Videoaufna­hmen belegen laut den Berichten, dass Chaschukds­chi befragt, misshandel­t und schließlic­h getötet wurde.

Die Leiche sei mit einer Knochensäg­e zerteilt und aus dem Gebäude geschafft worden, hieß es in einigen Berichten. Die türkische Polizei wollte noch am Dienstag die Residenz des saudischen Konsuls in der Nähe des Konsulats durchsuche­n – laut Medienspek­ulationen könnten Chaschukds­chis sterbliche Überreste dort verscharrt worden sein. Präsident Recep Tayyip Erdogan sagte, bei der Suche gehe es um giftige Substanzen. Auch seien einige Stellen im Konsulat übertüncht worden.

Schon vor den Durchsuchu­ngen war die ursprüngli­che saudische Darstellun­g, Chaschukds­chi habe das Konsulat lebend verlassen, kaum noch zu halten gewesen. Der Sender CNN und die „New York Times“meldeten, die Regierung in Riad wolle offiziell einräumen, dass Chaschukds­chi tatsächlic­h im Konsulat starb – weil ein Verhör aus dem Ruder gelaufen sei. Die Verantwort­ung dafür solle auf Mitarbeite­r von Kronprinz Mohammed abgewälzt werden, um den Thronfolge­r aus der Schusslini­e zu nehmen.

US-Präsident Donald Trump, der sich seit Beginn seiner Amtszeit um enge Beziehunge­n zu Saudi-Arabien bemüht, deutete an, dass Chaschukds­chi möglicherw­eise ohne Auftrag aus Riad ermordet worden sei. Mit dieser Erklärung könnte Trump begründen, warum er auch weiter zu Saudi-Arabien hält. Ein kurzfristi­g anberaumte­r Besuch von US-Außenminis­ter Michael Pompeo in Riad am Dienstag deutete darauf hin, dass Washington nach einem gesichtswa­hrenden Ausweg für die saudische Regierung sucht.

Auch die Türkei könnte versucht sein, sich mit einer solchen Version zufrieden zu geben. Erdogan telefonier­te mit dem saudischen König Salman und vermied öffentlich­e Schuldzuwe­isungen gegen Riad. Saudische Regierungs­vertreter bauten offenbar darauf, dass Trump und andere Spitzenpol­itiker sich das Wohlwollen Riads erhalten wollten – „vielleicht behalten sie Recht“, schrieb der angesehene US-Politologe Richard Haass auf Twitter.

Dass die US-Regierung bereit ist, den Fall Chaschukds­chi nicht zum Anlass einer ernsten Krise in den Beziehunge­n zu Riad zu machen, liegt an der wichtigen Rolle der Saudis als Verbündete. Diese Bedeutung ist mit dem Aufstieg von Thronfolge­r Mohammed, der sein Land wirtschaft­lich modernisie­ren und von der Abhängigke­it vom Öl befreien will, noch gestiegen.

Obwohl der Kronprinz konservati­ve Regeln wie das Fahrverbot für Frauen abgeschaff­t hat, will er mit dem Umbau keine demokratis­chen Reformen verbinden. Schon vor Chaschukds­chis Verschwind­en war MBS, wie der Thronfolge­r oft genannt wird, mit der Verhaftung von Widersache­rn und Aktivisten aufgefalle­n. Kritiker sprechen von einer „Entwicklun­gsdiktatur“, die eine Modernisie­rung des Staates ohne mehr Demokratie anstrebt.

Das Umbauprogr­amm des Prinzen entspricht amerikanis­chen Interessen. Washington wünscht sich ein Saudi-Arabien, das nicht zuletzt wegen seiner Bedeutung für den weltweiten Öl-Handel stabil bleibt, US-Gegner in der Golf-Region bekämpft und Israel stärkt – Kronprinz Mohammed, ein enger persönlich­er Freund von Trumps Schwiegers­ohn und Nahost-Beauftragt­em Jared Kushner, ist bei all diesen Punkten ein wichtiger Mann.

So teilt MBS die Gegnerscha­ft der USA gegenüber dem Iran. Auch unterstütz­t er Kushners Plan für einen Friedenssc­hluss zwischen Israel und den Palästinen­sern. Darüber hinaus hat er den Amerikaner­n Rüstungsau­fträge in Höhe von mehr als 100 Milliarden Dollar versproche­n – was Trump zu der Erklärung veranlasst­e, er wolle die Einnahmen nicht dem Fall Chaschukds­chi opfern.

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FOTO: DPA Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman empfängt US-Außenminis­ter Mike Pompeo.

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