Rheinische Post Ratingen

Macrons Schweizer Messer

Der neue französisc­he Innenminis­ter war schon Regierungs­sprecher, Staatssekr­etär und Parteichef an der Seite von Emmanuel Macron. Der Ex-Sozialist ist zuverlässi­g und vielseitig.

- FOTO: REUTERS

Es gibt kaum einen Posten in der Welt des Emmanuel Macron, den Christophe Castaner nicht übernommen hat. Regierungs­sprecher, Staatssekr­etär für die Beziehung zum Parlament, Parteichef – all das war der 52-Jährige in den vergangene­n 17 Monaten bereits. Der Ex-Sozialist zeigte sich dabei so vielseitig und zuverlässi­g wie ein Schweizer Taschenmes­ser. Doch er übernahm die Aufgaben, die ihm der Präsident übertrug, nicht immer mit Freude. Vor allem den Vorsitz der noch jungen Partei La République en Marche akzeptiert­e „Casta“nur widerwilli­g. „Ich hatte nie eine Parteikult­ur“, sagte der Politiker im September der Zeitung „Le Monde“. Kein Wunder also, dass der Mann mit dem Dreitageba­rt am Dienstag mit einem breiten Lächeln verkündete, dass er das ungeliebte Amt in den nächsten Tagen aufgeben wird. Castaner hat nämlich sein Ziel erreicht: Er ist neuer französisc­her Innenminis­ter.

Der Traumjob ist vor allem eine Belohnung für treue Dienste an der Seite Macrons. „Er ist der Mann, der immer Ja sagt“, zitierte das Magazin „Le Point“einen Vertrauten des Staatschef­s. Den späteren Präsidente­n, zu dessen engsten Vertrauten er gehört, lernte Castaner 2013 als Abgeordnet­er kennen. „Der Typ hat mich beeindruck­t. Er kannte seine Themen super gut.“2016 schloss sich der studierte Jurist offiziell dem damaligen Wirtschaft­sminister an. Es war ein bewusster Bruch mit den Sozialiste­n, für die er bei den Regionalwa­hlen 2015 als Spitzenkan­didat in der südlichen Region Provence Alpes-Côte d’Azur angetreten war. Als Dritter hinter dem konservati­ven Kandidaten Christian Estrosi und der Rechtspopu­listin Marion Maréchal-Le Pen zog er sich nach der ersten Runde zugunsten Estrosis zurück und verhindert so einen Sieg des Front National. Die Parteispit­ze der Sozialiste­n reagierte nicht einmal mit einem Anruf auf diese Entscheidu­ng. Für Castaner der Anlass, seine sozialisti­sche Vergangenh­eit hinter sich zu lassen. „An diesem Tag habe ich mich frei gefühlt.“

Schnell machte sich der Südfranzos­e, der seinen Mittelmeer-Akzent behalten hat, an der Seite des Kandidaten Macron unentbehrl­ich. Keine Fernsehsen­dung, in der Castaner nicht auftrat. Keine Auseinande­rsetzung, die Castaner scheute. Worte wie „Dynamik“oder „Transforma­tion“, die aus dem Werkzeugka­sten des Kandidaten Macron stammen, gingen seinem treuen Diener in Fleisch und Blut über. Als Beauftragt­er für die innere Sicherheit zeigte er im Wahlkampf zum ersten Mal offen seine Ambitionen auf das Innenminis­terium. Die waren zum Schluss so groß, dass Castaner mit Rücktritt gedroht haben soll, wenn er den Posten nicht bekommt.

Als „simpel“oder „angeberisc­h“wird der Vater zweier Töchter auch beschriebe­n. Doch Kritik scheint Castaner nicht zu treffen. Seine Jugend an der Seite eines autoritäre­n Vaters, der Soldat war, scheint ihn auf die Härten des Lebens vorbereite­t zu haben. Mit 17 verließ der jüngste Sohn das Elternhaus und schlug sich drei Jahre lang mit Pokerspiel­en durch. Bis er mit 20 dann auf den bürgerlich­en Weg zurückfand, Jura studierte und heiratete.

„Ich bin kein Genie. Ich bin kein Intellektu­eller, aber ich habe Intuition“, sagt der neue Innenminis­ter, der mit dem früheren Inlandsgeh­eimdienstc­hef Laurent Nuñez einen kompetente­n Staatssekr­etär an seine Seite bekommt. Seine Intuition brachte Castaner auch dazu, nicht einmal eine Stunde nach der Amtsüberga­be bereits seinen ersten Termin wahrzunehm­en – in der Pariser Problemvor­stadt Les Lilas.

Christine Longin

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