Rheinische Post Ratingen

„Wir sind alle Kreuzfahre­r“

Der Bestseller­autor ist auf Kreuzfahrt gegangen und hat dabei einiges erlebt. Ein Gespräch nicht nur über Schiffsrei­sen.

- LOTHAR SCHRÖDER SPRACH MIT WLADIMIR KAMINER.

DÜSSELDORF Wladimir Kaminer ist einer der populärste­n russischen Autoren hierzuland­e – mit einer Gesamtaufl­age von 3,7 Millionen Bücher. Im Juni 1990 hatte er humanitäre­s Asyl in der DDR bekommen und wurde so noch vor der Wiedervere­inigung deutscher Staatsbürg­er. Seine russische Sicht auf viele Dinge der westlichen Welt hat er sich dennoch bewahrt, zur Freude seiner Leser. Dazu gehören auch seine Erlebnisse auf Kreuzfahrt­en.

Wie sind Sie überhaupt auf ein Kreuzfahrt­schiff geraten?

Kaminer Na ja, das waren alles Einladunge­n. Freiwillig wäre ich nie auf so eine skurrile Idee gekommen. Denn wenn wir in den Urlaub fahren, reisen wir eigentlich zu Freunden oder Menschen, die uns kennen, weil wir als Familie Gespräche sehr schätzen. Sogar mehr als die Natur.

Und davon gab es dann auch auf den Kreuzfahrt­schiffen genug? Kaminer Sehr viele. Noch immer bekomme ich Post von Menschen, die mit mir auf der Kreuzfahrt waren. Kreuzfahrt­bekanntsch­aften sind wie echte Bruderscha­ften.

Als Schriftste­ller sieht man Kreuzfahrt­schiffe bestimmt mit einem anderen Blick

Kaminer Kreuzfahrt­schiffe sind eine Absage an das Festland, eine Art Arche Noah. In der Zeitung las ich, dass in Warnemünde das größte Kreuzfahrt­schiff aller Zeiten mit 10.000 Passagiere­n gebaut wird; anderersei­ts wird vorausgesa­gt, dass Ückermünde wegen des Klimawande­ls in ein paar Jahren unter Wasser stehen könnte. Und Ückermünde hat auch 10.000 Einwohner. Da kam mir die Idee, dass es doch logisch wäre, das neue Schiff Ückermünde zu nennen, die Bewohner darauf umzusiedel­n und sie auf „Stößchen“-Fahrt zu schicken.

Und dann ist es auch egal, wohin das Schiff fährt …

Kaminer … das ist es heute schon. Die Neugier hat bei den Reisen inzwischen Platz für Angst gemacht. Wenn sich die Kreuzfahre­r untereinan­der austausche­n, dann höre ich nur: ,Ach was, Madagaskar, riskier’ das bloß nicht, da war die Pest, und die Seyschelle­n kannst du erst recht vergessen, da hatten wir drei Tage lang nur Ungeziefer‘. Noch nie war das Reisen so leicht und die Unzufriede­nheit so groß. Ich habe ja zwei Bücher zu dem Thema geschriebe­n: eins über Flüchtling­e und eins über Kreuzfahre­r. Wobei die Flüchtling­e von heute schon morgen Touristen sein könnten und umgekehrt. Wahrschein­lich sind wir alle bereits auf einem Kreuzfahrt­schiff – das Kreuzfahrt­schiff Europa.

Im Gegensatz zur sogenannte­n Festung Europa aber mit vielen fließenden Grenzen drumherum. Kaminer Ich habe mit Menschen in Chemnitz nach den Ausschreit­ungen gesprochen und sie gefragt, welche Grenzen sie schließen wollen. Und sie sagten: Natürlich die zu Tschechien, weil die Tschechen nachts immer herüber kämen und die Reifen klauten. An dieser naiven Antwort sieht man schon den ganzen Irrsinn, irgendwelc­he Grenzen schließen zu wollen. Das Grenzenlos­e beobachte ich an meinem Heimatland, noch nie war es so leicht für Russen, zu reisen.

Was sind die Gründe für die Reiselust der Landsleute?

Kaminer Der Staat stagniert, weil es alle autokratis­chen Regime in der globalen Konkurrenz einfach nicht schaffen, für sich zu sorgen. Politisch haben sie dennoch eine unglaublic­he Überlebens­kraft entwickelt. Also: Wenn früher ein Diktator es nicht mehr richtig konnte mit der Wirtschaft, dann fuhr er den Staat gegen die Wand. Heute aber nicht. Jetzt überlebt das Regime und bleibt – und die Menschen können auswandern. Das ist die eigentlich­e Revolution des 21. Jahrhunder­ts.

Gehören dazu im weiteren Sinne auch die Kreuzfahrt­en?

Kaminer Jedenfalls wissen alle Kreuzfahre­r, dass es keine Rettung gibt. Es bleibt zwar zu hoffen, dass die Erderwärmu­ng am Ende nur 1,5 bis 2 Grad beträgt. Aber im Grunde wissen wir doch alle, dass es nicht klappen wird. Und mit diesem Gefühl betreten wir alle das Kreuzfahrt­schiff: Es gibt ein bisschen Empathie und die Sorge, dass es mit dem Klimawande­l vielleicht doch nicht so schnell geht. Aber was können wir dagegen tun? Nichts können wir tun. Also: Stößchen!

Welchen Menschen sind Sie auf den Kreuzfahrt­schiffen begegnet? Kaminer Ich habe auf den Schiffen Menschen kennengele­rnt, denen ich sonst nie begegnen wäre. Einem tauben Friedhofsg­ärtner aus Fulda, einer Frau vom Chemnitzer Ordnungsam­t. Ich habe mir gemeinsam mit diesen Leuten als Tourist fremde Städte angeschaut, wo auch überall nur Touristen sind. Aber wahrschein­lich sind wir ja alle bloß Touristen, weil unsere Welt sich so schnell verändert.

Wodurch unterschei­den sich die heutigen Kreuzfahre­r von den mittelalte­rlichen und eroberungs­wütigen Kreuzfahre­rn?

Kaminer Die Menschen, die ich kennenlern­en durfte, wollten nicht erobern. Sie wollten immer nur retten. Mal wollten sie Katzen retten, mal Affen. Dabei wollten die Katzen und Affen gar nicht gerettet werden. Und ich habe Schwaben erlebt, die in Griechenla­nd am Strand leere Plastikfla­schen sammeln wollten. Mich hat das gerührt, weil die Menschen etwas gemacht haben, obwohl sie wussten, dass es nicht hilft.

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FOTO: KAMINER Der in Moskau geborene und seit 1990 in Deutschlan­d lebende Autor Wladimir Kaminer ist auf große Fahrt gegangen: auf Kreuzfahrt.

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