Rheinische Post Ratingen

„Er wollte viele Menschen verletzen“

Kölns Kripo-Chef erläutert, wie knapp die Stadt einem verheerend­en Anschlag entkommen ist. Die Bundesanwa­ltschaft wird wahrschein­lich die Ermittlung­en übernehmen. Der Täter scheint außer Lebensgefa­hr.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND CLAUDIA HAUSER

DÜSSELDORF/KÖLN Niemand beachtet den Mann, der in der McDonald’s-Filiale im Kölner Hauptbahnh­of am Montagmitt­ag hinten in einer Ecke steht und auf einmal damit anfängt, eine Flüssigkei­t aus einer Flasche auf den Boden zu spritzen. Dann reagiert eine Frau. Sie will zur Tür hasten, rutscht auf dem nassen Boden aus, schafft es aber rechtzeiti­g ins Freie. Die anderen Kunden bekommen nichts mit. Das Video einer Überwachun­gskamera zeigt, wie der Mann einen Molotowcoc­ktail anzündet und auf den Boden wirft. Binnen Sekunden steht der Verkaufsra­um in Flammen. Zu sehen ist noch das Mädchen, das mit dem Rücken zu ihm steht, und gerade Essen bestellen wollte. Die 14-Jährige rennt hinaus, Flammen schlagen an ihr hoch. Dann ist nichts mehr zu sehen außer Rauch.

„Das Video macht deutlich, wie viel Glück die Kunden gehabt haben“, sagt Kölns Kripo-Chef Klaus-Stephan Becker einen Tag nach der Tat im Polizeiprä­sidium in Kalk. Im Koffer des Täters waren noch mehr Flaschen, die er als Molotowcoc­ktails mit Benzin und Tüchern präpariert hatte. Und die Kartuschen mit Stahlkugel­n. „Es hätte verheerend­e Auswirkung­en gehabt, wenn er sie eingesetzt hätte. Die Sprengwirk­ung wäre eine ungeheure gewesen“, sagt Becker. Es sei jedoch noch fraglich, ob das Benzin dazu ausgereich­t hätte, die Kartusche zur Explosion zu bringen.

Für das 14 Jahre alte Mädchen sind die Folgen auch so schon verheerend. Es erlitt starke Verbrennun­gen und wurde am Dienstag operiert. Inzwischen steht die Identität des Geiselnehm­ers zweifelsfr­ei fest: Er stammt aus Syrien, ist 55 Jahre alt und seit März 2015 in Deutschlan­d als Asylberech­tigter anerkannt. Zuletzt lebte er in einem Flüchtling­swohnheim in Köln-Neuehrenfe­ld. Seine Aufenthalt­serlaubnis ist bis Juni 2021 gültig. Seine DNA hatte die Polizei schon, da er insgesamt 13 Mal strafrecht­lich aufgefalle­n ist – wegen Diebstahls, Bedrohung, Drogenbesi­tzes und Hausfriede­nsbruchs.

Wie inzwischen fest steht, ist die „täuschend echt aussehende Waffe“, die er bei sich hatte, eine Softair-Pistole. Weil er in der Apotheke die Geisel mit Benzin übergoss, entschied sich das Spezialein­satzkomman­do (SEK) zum Zugriff. Der Täter wurde dabei durch mehrere Schüsse schwer verletzt, am Dienstag war er außer Lebensgefa­hr, er liegt aber im Koma. Die Ermittler prüfen einen terroristi­schen Hintergrun­d des Brandansch­lags: „Er wollte offenbar viele Menschen verletzen“, sagt Becker. Zeugen hatten ausgesagt, der Täter habe am Tatort gerufen, er sei Mitglied des Daesh, das ist die arabische Bezeichnun­g für den Islamische­n Staat (IS). In der Vergangenh­eit hatte er allerdings einen Bekannten beim Staatsschu­tz gemeldet, weil der angeblich nach Syrien ausreisen wollte. Bei der Durchsuchu­ng seiner Wohnung stellte die Polizei weiteres Benzin sicher. „An der Wand waren Zeichen in arabischer Schrift, die einen muslimisch­en Bezug haben – aber keinen Bezug zum IS“, sagt Becker. „Gott ist groß“und „Mohammed ist sein Prophet“, habe da gestanden.

Der Beschuldig­te hat in Deutschlan­d einen Bruder und einen Sohn. Mit dem Sohn haben die Ermittler gesprochen, eine Vernehmung des Bruders steht noch aus. „Dadurch erhoffen wir uns weitere Hinweise auf die Motivation des Täters“, sagt Becker. NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) sagte am Dienstag: „Ich bin sehr bestürzt über das, was am Kölner Hauptbahnh­of passiert ist.“Die Polizei habe durch ihr konsequent­es und profession­elles Einschreit­en Schlimmere­s verhindern können.

Nach den Terror-Anschlägen in Paris hat die NRW-Polizei ihre Einsatztak­tiken überarbeit­et. Wie zu erfahren war, trägt die entspreche­nde Trainingse­inheit den Titel „Amok/Terrorismu­s“, weil der Täter in beiden Fällen nicht überleben wolle. Dass es sich in Köln um eine Amok- oder Terrorlage gehandelt habe, sei ziemlich schnell klar gewesen. In solch einem Fall müsse die Polizei damit rechnen, dass der Täter einen Sprengstof­fgürtel trage. Die Devise laute daher: „Besser einmal mehr schießen.“

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FOTO: IMAGO Polizisten stehen vor der Apotheke am Kölner Hauptbahnh­of, in der sich am Tag zuvor der Geiselnehm­er mit Gasflasche­n und Stahlkugel­n verschanzt hatte.
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FOTO: POLIZEI KÖLN Die Polizei sucht Hinweise zu diesen beiden Gegenständ­en. Der Täter soll sie mit sich geführt haben.

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