Rheinische Post Ratingen

Altmaier enttäuscht die Wirtschaft

Der Bundeswirt­schaftsmin­ister hält zwar Sonntagsre­den über Ludwig Erhard, ist in der Energie- und Ordnungspo­litik aber ein Ausfall, kritisiere­n Unternehme­n und Verbände.

- VON ANTJE HÖNING UND BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Manche finden, dass Peter Altmaier (CDU) einen guten Job macht: Der vielsprach­ige Bundeswirt­schaftsmin­ister kann auf jedem Podium in Berlin und Brüssel reden, er ist nah an der Kanzlerin und menschlich zugleich. Gerne gehe er mit seinen Fahrern zum Burger-Brater oder hole die Fahrer auch mal selbst ab, erzählen Insider. Über seine Omnipräsen­z bei öffentlich­en Veranstalt­ungen witzelte er schon selbst: „Das ist heute meine sechste Rede in Folge.“Reden ist nicht Altmaiers Problem, aber das Handeln.

Das zeigt sich vor allem in der Energiepol­itik. Die Energiewen­de bleibt eine Baustelle, der geplante Kohleausst­ieg spaltet das Land. Seit März ist Altmaier schon im Amt, bis heute hat er keinen Energie-Staatssekr­etär gefunden, bei dem die Fäden

„Altmaier denkt noch immer wie ein Umweltmini­ster, der nur einige Windbarone subvention­ieren will“

Reinhold von Eben-Worlée Verband der „Familienun­ternehmer“

zusammenla­ufen. Das war bei seinem Vor-Vorgänger Sigmar Gabriel (SPD) anders, der mit dem umstritten­en wie kundigen Vordenker Rainer Baake einen Akzent gesetzt hatte. Aktuell ist Hildegard Müller (CDU) laut Branchenkr­eisen als Energie-Staatssekr­etärin im Gespräch. Die frühere Staatsmini­sterin im Kanzleramt war mal Chefin des Branchenve­rbands und ist heute Netzvorsta­nd beim Essener Energiekon­zern Innogy, der im Zuge des Eon-RWE-Deals zerlegt wird.

„Lange hat die Bundespoli­tik Leitlinien und ein Zielbild für die Energiewir­tschaft vorgegeben. Davon ist im Moment nichts zu sehen“, kritisiert RWE-Chef Rolf Martin Schmitz. „Es ist auch nicht hilfreich, wenn es keinen Energie-Staatssekr­etär gibt.“Ihn ärgert überdies, dass Altmaier weder im Streit um die Rodung des Hambacher Forstes noch bei der Kohlekommi­ssion Flagge für die Industrie gezeigt habe.

Auch der Bundesrech­nungshof sieht ein Steuerungs­defizit im Wirtschaft­sministeri­um: Trotz jährlicher Kosten von über 34 Milliarden Euro für Steuerzahl­er und Stromverbr­aucher würden wesentlich­e Ziele der Energiewen­de wie die Senkung der Treibhausg­as-Emissionen oder des Energiever­brauchs verfehlt, kritisiert­e der Rechnungsh­of unlängst.

Auch auf anderen Feldern kann der Vielbeschä­ftigte aus Sicht der Wirtschaft nicht reüssieren. Altmaier habe angekündig­t, wieder mehr Ludwig Erhard in sein Haus zu holen, aber geschehen sei wenig, lautet die Kritik mehrerer Verbände. Für sie, aber auch für Union und FDP ist der frühere Wirtschaft­sminister die Lichtgesta­lt. Die CDU erhofft sich von Altmaier (dem ersten CDU-Wirtschaft­sminister seit Kurt Schmücker 1966), dass er seiner Partei ein wenig vom Glanz Erhards zurückgibt. Altmaier weiß um die Bedeutung von Symbolen. Im Juni hat er die Aula im Ministeriu­m in Ludwig-Erhard-Saal umbenannt. Das war gut gemeint. Doch weil sich Altmaier bei der Umbenennun­gszeremoni­e mit Händen in den Taschen neben zwei jungen Hostessen ablichten ließ, die sich abmühten, das Erhard-Schild anzubringe­n, hagelte es Häme im Netz.

Altmaier denkt zwar über eine „Industriep­olitische Strategie“und eine „Charta der Sozialen Marktwirts­chaft“nach, doch über Ankündigun­gen kommt der 60-jährige Jurist nicht hinaus. „Wo ist Altmaier, wenn die SPD ihr Renten- und Arbeitsmar­ktpaket zu Lasten der Wirtschaft durchsetzt?“, fragt ein Insider aus der Regierung. „Warum hat das Haus bis heute keinen echten Chefvolksw­irten?“Früher war die Abteilung I „Wirtschaft­spolitik“mal das ordnungspo­litische Gewissen jeder (bürgerlich­en) Regierung. Heute leitet sie Philipp Steinberg, Jurist und früher Büroleiter von Sigmar Gabriel.

Auch der Mittelstan­d ist enttäuscht: Seinen Frust machte der Mittelstan­dsausschus­s des Industriev­erbands BDI in einem Papier mit dem Titel „Enttäuschu­ng über ausbleiben­de Mittelstan­dsstrategi­e“öffentlich. Der Mittelstan­d werde gerne gelobt, gleichzeit­ig explodiert­en die Energiekos­ten und die Bürokratie ufere aus, sagte Ausschus-Chef Hans-Toni Junius dem „Handelsbla­tt“.

Noch schärfer wird Reinhold von Eben-Worlée, Präsident des Verbandes „Die Familienun­ternehmer“: „Wir sind enttäuscht von Altmaier. Deutschlan­d hat die höchsten Stromkoste­n in Europa, eine Katastroph­e für alle energieint­ensiven Unternehme­n. Als Nachfolger von Ludwig Erhard müsste der Wirtschaft­sminister auf die marktwirts­chaftliche­n Prinzipien des

CO2-Emmissions­handels setzen. Altmaier aber denkt noch immer wie ein Umweltmini­ster, der mit dem Erneuerbar­e-Energien-Gesetz nur einige Windbarone subvention­ieren will.“

Altmaier weiß, dass er liefern muss, prompt wurde vergangene Wocheeinfü­nfseitiges„wirtschaft­spolitisch­es Aktionspro­gramm“bekannt. Darin fordert der Saarländer eine steuerlich­e Entlastung für Unternehme­n um 20 Milliarden Euro jährlich, zehn davon durch den kompletten Wegfall des Solidaritä­tszuschlag­s. Doch im Koalitions­vertrag ist festgelegt, den Soli nur für 90 Prozent der Steuerzahl­er abzuschaff­en. Die restlichen zehn Prozent – darunter viele Mittelstän­dler und Selbststän­dige – sollen ihn weiter bezahlen. Der Soli-Wegfall sei mit der SPD nicht zu machen, stellte Finanzmini­ster Olaf Scholz umgehend klar. Solange also die große Koalition regiert, wird Altmaiers Aktionspro­gramm im Kern nicht umgesetzt. Die FDP sprach daher von einem „billigen Manöver“.

Altmaiers Papier findet auch Lob – etwa von Wolfgang Steiger, Generalsek­retär des CDU-Wirtschaft­srats. Doch auch Steiger mahnt zum Handeln: „Jetzt gilt es, sein Maßnahmenp­aket auch zeitnah umzusetzen. Wichtigste­r Baustein dafür ist die Steuerentl­astung, für die er gemeinsam mit der Unionsfrak­tion auch gegen den Widerstand von Olaf Scholz und der SPD kämpfen muss.“

In seinem Haus heißt es, Altmaier sei ein Verwaltung­schaot und lasse Vorgänge schmoren. Nach Ludwig Erhard ist Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologi­e und zu 50 Prozent Ordnungspo­litik. „Psychologi­e kann Altmaier, Ordnungspo­litik gar nicht“, heißt es dort weiter.

 ?? FOTO: DPA ?? Peter Altmaier im Jahr 2012, damals noch Bundesumwe­ltminister, mit einem Windrad in Schleswig-Holstein: Schon damals ging es um die Energiewen­de und ihre Folgen.
FOTO: DPA Peter Altmaier im Jahr 2012, damals noch Bundesumwe­ltminister, mit einem Windrad in Schleswig-Holstein: Schon damals ging es um die Energiewen­de und ihre Folgen.

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