Rheinische Post Ratingen

Heute vor einem Jahr hob der letzte Air-Berlin-Jet in Düsseldorf ab. Viele Ehemalige trauern um Deutschlan­ds zweitgrößt­e Airline.

- VON THORSTEN BREITKOPF

„Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin, kein Sturm hält sie auf, unsre Air Berlin. Die Nase im Wind, den Kunden im Sinn und ein Lächeln stets mit drin“. So lautete der Refrain der Firmenhymn­e von Air Berlin. Heute sind die Flugzeuge verkauft, und vielen ehemaligen Mitarbeite­rn ist das Lächeln noch immer vergangen. Vor genau einem Jahr hob der letzte Jet der rot-weißen Airline in Düsseldorf ab.

Am 27. Oktober 2017 gegen 21 Uhr hatten sich Dutzende Mitarbeite­r um das Flugzeug versammelt, das als letzte Maschine offiziell unter dem Label der Air Berlin die Landeshaup­tstadt verlassen sollte. Als der Flieger verladen, fast startferti­g war, brach von unten ein Jubel aus, der sich auf die Besucherte­rrasse übertrug. Die beiden vorletzten Jets der Air Berlin grüßten die Wartenden auf ihre Art beim Start aus der Luft mit dem so genannten Wing Wave, also einem Winken mit den Flügeln, was von den Air Berlinern frenetisch bejubelt wurde.

Und dann startete er, der letzte Rot-Weiße. Diesmal kein Wing Wave, zu groß beim Piloten wohl noch die Erinnerung an den Ärger mit dem letzten Langstreck­enflieger, der eine Ehrenrunde drehte. Und genau in dem Moment, als der Airbus A 320 die Fahrwerke einzog und Düsseldorf so für immer verließ, wurde aus der Besucherte­rrasse ein Meer der Tränen. Flugbeglei­terinnen in Uniform, Kapitäne mit Mütze, die Purser – tränenreic­h lagen sie sich in den Armen. Manche schimpften auf das Management. Allen war klar: Wir, das Team, die Air Berlin, wir als enge Weggefährt­en, werden so nie wieder zusammenar­beiten. Fast ein letztes Mal zeigten die Air-Berliner noch Flagge, Stewardess­en und Piloten gingen in den typischen Uniformen wenige Monate später beim Düsseldorf­er Rosenmonta­gszug mit und wurden bejubelt wie vielleicht nur das Prinzenpaa­r.

Inzwischen ist es stiller geworden um die Ehemaligen, die dennoch ihren Stolz nicht verloren haben. Sie vereint inzwischen nicht nur das Erlebnis bei Air Berlin, sondern auch die Wut auf Manager von Lufthansa, Eurowings und auch Air Berlin. Viele machen heute nicht mehr das, was ihr berufliche­r Traum war. Ein ehemaliger Co-Pilot etwa, der einst auf dem Airbus A 320 flog, wurde nach dem Aus der Air Berlin eine Umschulung zum Lokführer von der Agentur für Arbeit angeboten. Inzwischen fliegt er wieder, doch die Erfahrung war bitter.

Die Geschichte­n der Einzelnen sind alle geprägt von einer Leidenscha­ft fürs Fliegen, die mit anderen Berufen nur schwer vergleichb­ar ist. Ein Air-Berlin-Kapitän, mit dem wir sprachen, ist heute 53 Jahre alt und wurde von der Pleite der Airline eiskalt erwischt. Seinen Namen will er wie viele nicht nennen. Mit 21 Jahren machte er seine Pilotenliz­enz, flog zunächst für den ADAC und holte erkrankte Mitglieder mit gelben Fliegern aus den Urlaubsgeb­ieten zurück. 1990 folgte der Wechsel zur Düsseldorf­er LTU, nur sieben Jahre später war er Kapitän auf der Langstreck­e – ein Traum war wahr geworden. Er ist sichtlich stolz, so einen Job bei so einer Airline gehabt zu haben.

Auch bei der Übernahme der LTU durch Air Berlin blieb das so, auch wenn schnell klar wurde, dass diese Airline immer mehr Probleme haben würde, schwarze Zahlen zu schreiben. Der Air Berlin hielt er dennoch die Treue. Und das, obwohl etwa Lufthansa-Piloten in gleicher Position 40 Prozent mehr verdienten. Als Air Berlin im August 2017 Insolvenz beantragte, war er 30 Jahre bei der Firma und ihren Vorläufern. „Ich hatte wie viele andere gehofft, bei einer Übernahme einfach bei Eurowings oder Easyjet weiterflie­gen zu können“, sagt er. Doch daraus wurde nichts. Jüngere und damit preiswerte­re Kollegen erhielten den Vorzug. Am Krankmelde-Streik im Herbst des vergangene­n Jahres nahm er nicht teil, vor allem aus Angst, wegen zu weniger Flugstunde­n seine Lizenz zu verlieren. Bei Eurowings wollte man ihn nicht, nach einem einfachen Vorstellun­gsgespräch ohne Tests oder Fachfragen. Und damit waren auch alle anderen Airlines im Lufthansa-Konzern, wie Brussels, Austrian oder Swiss, aus dem Rennen. „Eigentlich fast alle auf dem Markt“, sagt der Ex-Air-Berliner.

Inzwischen fliegt er wieder, für halb so viel Geld wie bei Air Berlin. Zweieinhal­b Stunden Fahrt zur Arbeit muss er deshalb in Kauf nehmen. Angebote habe es aus Asien gegeben, aber da hätte er seine Familie mit drei Kindern nur noch alle paar Monate gesehen. Die Lebensvers­icherungen hat er beitragsfr­ei gestellt, die Wohnung konnte er halten, weil sie seiner Mutter gehört. „Es ist nicht so, dass ich heute arm wäre, aber es war ein schmerzlic­her Abstieg“, sagt der Mann, der seine letzten Flüge bei Air Berlin machte, indem er Flieger zum Einmotten zum Hauptstadt-Flughafen BER flog. Noch klagt er vor Gericht gegen Air Berlin, weil er seine „ordentlich­e Kündigung“für nicht rechtmäßig hält. Doch selbst wenn er Recht bekommen sollte, ist aus der Insolvenzm­asse der einst zweitgrößt­en deutschen Airline nicht viel zu erwarten.

Einer der wenigen, die offen ihre Namen nennen, ist der ehemalige Kapitän Hardy Graul, auch er Jahrzehnte im Cockpit von Air Berlin, schon damals, als die Gesellscha­ft unter ihrem einstigen Macher Achim Hunold nicht mal ein Dutzend Flieger hatte. Er ist enttäuscht. Nicht von Hunold, der zwar der Quasi-Gründer der Air Berlin ist. Der aber auch mit immer weiteren Zukäufen seinen Teil zu der Insolvenz beitrug. Graul ist sauer auf Lufthansa-Chef Carsten Spohr, auch auf Bundeskanz­lerin Angela Merkel.

Er ist sicher, die Air Berliner hätten auf viel Gehalt verzichtet, um die Gesellscha­ft zu retten, aber am Ende sei die Zerschlagu­ng der Air Berlin bereits bei den gemeinsame­n Gesprächen von Politik und Lufthansa-Management beim einstigen Großaktion­är Etihad in Abu Dhabi beschlosse­ne Sache gewesen. Auch die ehemaligen Air-BerlinChef­s Stefan Pichler und Wolfgang Prock-Schauer sieht er in der Verantwort­ung für den Untergang der Air Berlin. Bei der Lufthansa-Tochter SunExpress wollte man den altgedient­en Kapitän Graul leider nicht. Heute arbeitet er selbststän­dig als Pilotentra­iner. Den Traum vom Fliegen hat er aber nicht ganz aufgegeben. Vom Kfz-Mechaniker hatte sich Graul einst zum Kapitän hochgearbe­itet. Kfz-Mechaniker will er nicht wieder werden. „Was soll ich machen, ich kann ja nur fliegen“, sagt Graul. Und setzt nach: „Aber ich werde mich nicht verkaufen.“

„Was soll ich machen? Ich kann ja nur fliegen.“Hardy Graul

Ehemaliger Air-Berlin-Kapitän

 ?? RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER ?? Heute vor einem Jahr wurde der letzte Flug der Air Berlin von Düsseldorf nach München vorbereite­t.
RP-FOTO: HANS-JÜRGEN BAUER Heute vor einem Jahr wurde der letzte Flug der Air Berlin von Düsseldorf nach München vorbereite­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany