Rheinische Post Ratingen

Ohne Kind wäre ich in jeden Bus und in jede Bahn gestiegen

- VON SABINE SCHMITT

Wenn die Sonne untergeht, verwandelt sich die Stadt in eine riesige Feiermeile. Musik weht herüber. Sie wird lauter und leiser, aber sie ist immer da. Wie das Rauschen des Meeres. Das ist auch immer da hier in Jaffa, Tel Aviv.

Die Leute sagen, Tel Aviv ist die Party-Hauptstadt des Nahen Ostens. Unterm Sternenhim­mel am Strand sitzen oder auf einer Dachterras­sen feiern – das habe ich gemacht, als ich in den 90ern mit der Schule hier war. Und ja: Das wäre jetzt auch schön. Aber meine Reisebegle­itung hält den Stoffhund fest im Arm – und schläft. Noel ist sieben Jahre alt. Kinder schleppt man nachts auf keine Partys. In eine Bar aber schon: Am nächsten Tag sind wir mit einer Familie aus Berlin unterwegs und enden beim Mexikaner. Da wimmelt es von Kindern. Auch nach Sonnenunte­rgang.

Tel Aviv ist jung. Israel ist jung. Kinder überall, und alle sind nett zu ihnen in diesem Land, in dem knapp neun Millionen Menschen leben und von denen etwa jeder Dritte unter 18 Jahre ist. Jedenfalls haben wir die Berliner auf dem Spielplatz kennengele­rnt. Mutter, Vater, Kind: Tanja, Markus, Hans. Zusammen streunen wir durch die Gassen von Florentin, ein hippes Künstlervi­ertel mit Galerien, Kneipen, Cafés.

Der Wandel ist in Tel Aviv überall zu spüren. Alles wird schick nach und nach. Bekannt ist Tel Aviv für seine Bauhaus-Architektu­r. Jetzt stehen überall Baukräne. Immer mehr Wolkenkrat­zer ragen in den Himmel. Auch sie prägen das Stadtbild. Auch in Florentin ist die Gentrifizi­erung in vollem Gange, aber noch nicht abgeschlos­sen. Tagsüber ist es ein Arbeitervi­ertel, abends treffen die Leute sich in den Bars – Künstler, Musiker, Studenten, Normalos, Touristen, Alt und Jung.

Kinder brauchen etwas, das sie durch eine Stadt zieht. So was wie einen roten Faden. Sonst sagen sie Sätze wie: „Mir ist langweilig“oder „Ist es noch weit?!“. Der rote Faden, das sind in Florentin die Graffitis. Sie sind überall. Auf Hauswänden, Garagen, Toren, Mülleimern, Stromkäste­n. „Guck mal“, sagt Noel. „Schon wieder ein Legomännch­en.“Wenn man sieben Jahre alt ist und voll auf Lego steht, dann sind Lego-Graffitis mit die schönste Kunst, die man sich vorstellen kann. Und sie ist gratis.

Während Noel und Hans die Wände absuchen, erzählt Tanja, dass sie eigentlich mit ihrer Schwägerin reisen wollten. Die habe dann aber abgesagt. Nachdem Trump die amerikanis­che Botschaft nach Jerusalem verlegen ließ, da sei ihr die Lust vergangen. „Zu gefährlich“. Ich muss an die Mütter denken, die Noel vor der Abreise noch mal angeguckt hatten. Sie haben nichts gesagt, aber vermutlich gedacht: „Hoffentlic­h kommst du gesund wieder.“

Alle haben die Ausschreit­ungen in Jerusalem wegen der Verlegung der US-Botschaft im Fernsehen gesehen. Wie gefährlich ist es, mit Kind nach Israel zu reisen? Je nachdem, mit wem ich gesprochen habe, habe ich gesagt: „Anschläge haben wir auch in Europa: Barcelona, Berlin, Brüssel, Madrid, Nizza, Paris. Aufpassen musst Du überall.“

In Wirklichke­it habe ich lange gehadert, ob ich mein Kind mit nach Israel nehmen möchte. Ich habe die Nachrichte­n verfolgt, Informatio­nen des Auswärtige­n Amtes studiert, Freunde gefragt, die jüngst da waren und dann für uns entschiede­n: Es ist okay, wenn wir auf ein paar Dinge Acht geben und ein paar Kompromiss­e machen müssen.

Ohne Kind wäre ich in jeden Bus und in jede Bahn gestiegen. Mit Kind verzichte ich auf öffentlich­e Verkehrsmi­ttel. Beim Auswärtige­n heißt es: „Reisende sollten bei der Nutzung der öffentlich­en Verkehrsmi­ttel in Israel und den Palästinen­sischen Gebieten besondere Vorsicht walten lassen.“Kurze Strecken laufen wir deshalb zu Fuß. Wir könnten aber auch eins der vielen öffentlich­en Räder leihen, die es quer durch die Stadt gibt. Für größere Strecken haben wir einen Leihwagen. Mit dem fahren wir auch durch die Negev-Wüste. Nach Architektu­r, historisch­er Altstadt und Stadtstran­d in Tel Aviv haben wir Lust auf Schnorchel­n am Roten Meer.

Unser erster Stopp auf der etwa vierstündi­gen Reise durch die Einöde und nach Eilat: Mitzpe Ramon. Es ist ein Tipp von dem jungen Mann im Touristenb­üro in Tel Aviv. Und es lohnt sich wirklich, den kleinen Umweg zu fahren – der Ausblick vom Krater, diese Weite.

In Eilat in einem Kreisverke­hr (dem letzten vor der Grenze nach Ägypten) sehen wir sie dann: Soldaten, bewaffnet mit Maschineng­ewehren. In meiner Erinnerung von meinem letzten Besuch stehen sie überall. 2018 fallen sie mir weniger auf.

In Eilat mögen wir die Strandbars, die bunten Fische, Delfine, den Blick auf die Berge in Jordanien, die sich bei Sonnenunte­rgang rot färben. Nicht so sehr mögen wir die klotzigen Hotelbaute­n und die steinigen

Strände. Weiter geht’s ans Tote Meer, da gibt’s Sandstrand. Ins Wasser geht Noel aber nicht. Er findet, das Salzwasser brennt höllisch auf der Haut. Stattdesse­n wandern wir über die Salzkruste, während sich die Landschaft im spiegelgla­tten Wasser doppelt.

Zurück nach Tel Aviv geht es wieder durch die Wüste, vorbei an Oasen, kleinen Siedlungen, Kamelen. Vor unserer Reise hatten wir noch die Kinderbibe­l gelesen. Jetzt sitzt Noel im Auto neben mir und guckt durchs Fenster auf die Landschaft aus der Bibel und sagt: „Unglaublic­h, dass Jesus auch hier in der Gegend unterwegs gewesen sein soll.“

Das ist der Moment, in dem ich beschließe, wieder zu kommen. Ich möchte ihm auch Jerusalem, Nazareth, den See Genezareth zeigen – und hoffe, dass das dann möglich sein wird.

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FOTOS (3): SABINE SCHMITT Am Toten Meer spiegelt sich die Landschaft. Schwimmen mag Noel nicht, weil das Salzwasser auf der Haut brennt.
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In der Negev Wüste soll Jesus 40 Tage gefastet haben.
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In Tel Aviv gibt es an jeder Ecke Graffitis an den Wänden.

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