Rheinische Post Ratingen

Starker Regie-Auftakt in Bochum

Johan Simons beginnt seine Schauspiel-Intendanz mit „Die Jüdin von Toledo“.

- VON MAX FLORIAN KÜHLEM

BOCHUM Es weht ein neuer Wind am Bochumer Schauspiel­haus. Daran lässt die starke Eröffnungs­inszenieru­ng des neuen Intendante­n Johan Simons keinen Zweifel. Mit der Adaption von Lion Feuchtwang­ers Roman „Die Jüdin von Toledo“stellt er sein neues Ensemble und sich selbst vor – und offenbart: Bochum hat endlich wieder einen Regie führenden Intendante­n mit einer starken Handschrif­t. Einen, der mit Liebe, Lust und Hingabe zu seinen Stoffen, Schauspiel­ern und dem wunderbare­n Theaterrau­m aus den 1950er-Jahren arbeitet, den die Marketinga­bteilung wie schon unter Vorgänger Olaf Kröck in den sozialen Medien unter dem Stichwort schönstest­heaterderw­elt bewirbt.

Erstaunlic­h ist, wie Johan Simons mit seinen 72 Jahren mit leichter Hand und kindlichem Vergnügen Stadttheat­erkonventi­onen aufbricht. Sein Ensemble ist bunter und vielstimmi­ger als man es von Bochum und den meisten anderen Häusern in Deutschlan­d gewohnt ist: Die Schauspiel­er bringen andere kulturelle Einflüsse mit, manchmal erkennbar an schönen Färbungen, die sie in das englisch übertitelt­e Bühnendeut­sch bringen.

Anstatt mit den technische­n Möglichkei­ten der neuen Wirkungsst­ätte zu spielen, hat sich Johan Simons mit Bühnenbild­ner Johannes Schütz für zwei klare Setzungen entschiede­n: Sein wunderbare­s Ensemble wirft sich auf einer dauerhaft langsam fahrenden Drehbühne in die Geschichte aus dem Spanien des 12. Jahrhunder­t. Und in der Mitte hängt frei schwingend eine Mauer aus weißem Kalk. Ansonsten ist der Blick frei auf die nackte Maschinene­rie.

Mehr braucht der virtuose Regisseur nicht, um das auf drei Spielstund­en eingedampf­te Romangesch­ehen zum Leben zu bringen. Spanien ist zweigeteil­t in einen islamische­n Süden und einen christlich­en Norden. Kulturell steht der islamische Teil in voller Blüte, der christlich­e Teil ist rückständi­g, die Bevölkerun­g dumpf und kriegslüst­ern – so viel überrasche­nde Geschichts­lektion lernen die Zuschauer schon im kurzen Prolog, den Koen Tachelet seiner gelungenen Bearbeitun­g voranstell­t.

Zwischen den Welten stehen die Juden, schon damals überall verfolgt oder zumindest kritisch beäugt. Der zum Islam konvertier­te jüdische Kaufmann Jehuda wagt den Umzug nach Toledo in den christlich­en Norden, wo er dem jungen König Alfonso als Geldbescha­ffer dient und hofft, ihn vom Kriegszug in den Süden abhalten zu können. Das klappt sogar eine Zeitlang, auch, weil seine schönen Tochter Raquel dem König die Sinne verwirrt.

Hanna Hilsdorf und Ulvi Erkin Teke agieren als Jüdin und König in bester Berliner-Volksbühne-Manier: Sie sprechen die Texte lässig und schlampig wie gelangweil­te Teenager, als müssten sie die aufschluss­reichen Reflexione­n über die Liebe und das Verhältnis der monotheist­ischen Weltreligi­onen erst mühsam durchdring­en. Doch genau durch solche seltsamen Brechungen – und durch starke Bilder etwa beim schamlosen Wüten des Kriegsgesc­hehens – lebt diese wunderbare Inszenieru­ng.

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FOTO: BRÜGGEMANN Johan Simons inszeniert „Die Jüdin von Toledo“.

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