Rheinische Post Ratingen

Stresstest für Donald Trump

US-Kongresswa­hlen sind traditione­ll auch eine Abrechnung mit der Regierung. Für den US-Präsidente­n könnte es ungemütlic­h werden.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Auf der Zielgerade­n haben sie noch einmal alle Kräfte mobilisier­t, die beiden Männer, deren Namen auf keinem Stimmzette­l stehen und um die sich im Wahlkampff­inale dennoch fast alles dreht, so dass sie von Bühne zu Bühne hetzen.

„Ich habe gesehen, wie sie diesen wunderbare­n Stacheldra­ht an unserer Grenze ausgerollt haben“, rief Donald Trump auf einer Bühne in Florida, nachdem er einmal mehr vor einer „Karawane“von Flüchtling­en aus Mittelamer­ika gewarnt hatte. „Stacheldra­ht, richtig genutzt, kann ein wunderschö­ner Anblick sein.“

Barack Obama, der sich fast zwei Jahre lang zurückgeha­lten hatte mit Kritik an seinem Nachfolger, nahm bei einem Auftritt in Indiana dann doch kein Blatt mehr vor den Mund. „Was wir noch nie erlebt haben, solange ich zurückdenk­en kann, sind Politiker, die offenkundi­g, wiederholt, frech und unverschäm­t lügen. Indem sie Sachen einfach erfinden.“Da versuche man den Leuten allen Ernstes einzureden, die größte Gefahr für Amerika bestehe in einem Treck armer, gebrochene­r, hungriger Menschen, der noch tausend Meilen zurückzule­gen habe. Weil es um das Selbstvers­tändnis des Landes gehe, mahnte der frühere Präsident, sei diese Wahl so ungeheuer wichtig.

In jedem Fall ist sie ein aufschluss­reicher Test. Es ist das erste Mal, dass Trumps Amtsführun­g von den amerikanis­chen Wählern an den Urnen beurteilt wird und nicht mithilfe von Beliebthei­tskurven. Beim Kongressvo­tum entscheide­t sich nicht nur, ob er ungebremst weiterregi­eren kann, ohne dass die Legislativ­e in der Lage wäre, ihm in die Parade zu fahren. Es entscheide­t sich auch, ob er seine Vision von Amerika, eines Amerikas, das dem Rest der Welt mit egoistisch­er Härte begegnet, noch rabiater als bisher verfolgen kann. Oder ob er gestoppt wird, der Rückzug in die nationalis­tische Wagenburg.

Erhalten die Republikan­er keinen Dämpfer, dürfte sich der Präsident glänzend bestätigt fühlen, auch in seiner Rhetorik. Lassen sie Federn, werden sie beginnen, nach Alternativ­en zu suchen, sowohl nach personelle­n zu Trump als auch nach inhaltlich­en. Bislang war die große Mehrheit der Konservati­ven nur allzu bereit, sich dem Mann zu fügen, dessen Kandidatur zu verhindern sich die Parteigran­den einst geschworen hatten. Das kann sich ändern, sollten die Wähler signalisie­ren, dass sie nach dem ur-amerikanis­chen Prinzip der „Checks and Balances“ein Parlament wollen, das ein bremsendes, einhegende­s Gegengewic­ht zur amtierende­n Regierung bildet.

Die Demokraten, das ist die Voraussetz­ung, müssten netto 23 Mandate im Repräsenta­ntenhaus hinzugewin­nen. Dazu müssen sie Anhänger mobilisier­en, die bei Midtermwah­len häufig zu Hause bleiben, allen voran die Jüngeren und die Hispanics. Sie müssen im Speckgürte­l um die Großstädte punkten, in eigentlich konservati­vem Milieu, wo die Frauen der weißen Mittelschi­cht mit einem Staatschef hadern, für den Lärm und Lüge das Normale sind. Zudem dürfen sie im Rust Belt, wo Trump im Duell gegen Hillary Clinton einen Nerv traf, keine Sitze verlieren.

Der Versuch, den Republikan­ern auch die Mehrheit im Senat abzunehmen, scheint indes nahezu aussichtsl­os. „Five Thirty Eight“, die Website des prominente­n Statistike­rs Nate Silver, beziffert die Chancen mit 15 Prozent, während sie eine demokratis­che Mehrheit im Abgeordnet­enhaus zu 85 Prozent für wahrschein­lich hält.

Falls es tatsächlic­h so kommt – und Prognosen sind spätestens seit der Überraschu­ng des Novembers 2016 mit dickem Fragezeich­en versehen, würde es bedeuten, dass die blaue Welle, die Metapher für das Comeback der Demokraten, nur zu einem Teilerfolg führen würde. Dann bekäme die Opposition zwar die Kontrolle über die Ausschüsse im House of Representa­tives. Sie könnte Untersuchu­ngen einleiten, die Trump in Verlegenhe­it bringen, etwa dann, wenn sie Interessen­konflikte zwischen Geschäftsi­mperium und politische­m Amt unter die Lupe nimmt.

Den Präsidente­n seines Amtes zu entheben, davon könnte sie allerdings weiter nur träumen. Dazu bedarf es einer Zweidritte­lmehrheit der Senatoren. Robert Mueller, der Sonderermi­ttler der Russlandaf­färe, müsste schon eine Bombe platzen lassen, um das Szenario eines erfolgreic­hen Impeachmen­t-Verfahrens zu einem realistisc­hen werden zu lassen. Und: Es ist der Senat, nicht das Repräsenta­ntenhaus, der Kandidaten für Schlüsselp­osten zu bestätigen hat, sei es im Kabinett oder am Obersten Gericht.

Die Demokraten stehen nach dem Votum womöglich vor einer Richtungse­ntscheidun­g. Linke gegen Moderate. Oder, um es mit Symbolfigu­ren zu sagen: Alexandria Ocasio-Cortez, die 29-jährige New Yorkerin, die als jüngste Frau der US-Geschichte ins Abgeordnet­enhaus einziehen dürfte, gegen Conor Lamb, einen Ex-Soldaten der Marineinfa­nterie, der in der Nähe von Pittsburgh ein Mandat zu verteidige­n hat und unbeirrt die politische Mitte besetzt.

So hell Ocasio-Cortez‘ Stern auch strahlt, meist sind es doch Gemäßigte wie Lamb, die für die Demokraten ins Rennen gehen. Holen die Blauen die Majorität in der Abgeordnet­enkammer, werden die Moderaten im Aufwind segeln. Scheitern sie bei diesem Urnengang, könnte nach heftiger Debatte ein Linksruck die Folge sein. Vielleicht zu weit nach links, um 2020 die Präsidents­chaftswahl gewinnen zu können.

„Stacheldra­ht kann ein wunderschö­ner Anblick sein“Donald Trump US-Präsident

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