Rheinische Post Ratingen

Kirchturmg­locken aus dem iPhone

Das Festival „Die Digitale“bietet von Freitag an einen Überblick über die digitale Kultur der Gegenwart.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Wer in den nächsten Tagen an der Bergerkirc­he vorbeigeht, wird sich womöglich wundern. Statt Glockengel­äut ertönt nämlich das Klingeln eines iPhones vom Turm des Gotteshaus­es in der Altstadt. Die Künstlerin­nen Klarissa Flückinger und Mahtola Wittmer haben sich das ausgedacht. Sie haben dasselbe schon in der St.-Peters-Kapelle in Luzern veranstalt­et, und hinter der Aktion steht eine Frage: Kann es sein, dass das Smartphone für viele Menschen zu einer Art Gott geworden ist? Man bittet es um Rat, man vertraut dem Gerät alles an, man wendet sich zu ihm hin, wenn man alleine ist. „Gott ruft an“, sollen Touristen in Luzern gerufen haben, als sie das ungewöhnli­che Geläut hörten.

Das „Zeitzeiche­n“betitelte Kunstproje­kt ist Bestandtei­l der „Digitale“, jenes Festivals, das sich vom 9. bis zum 25. November mit Aspekten der digitalen Kunst und Musik beschäftig­t. Das Oberthema der inzwischen dritten Ausgabe dieser anregenden Veranstalt­ung zur Durchdring­ung unserer verschlung­enen Gegenwart lautet „Digital Gods“: Technologi­e als Religionse­rsatz.

Die „Digitale“ins Leben gerufen haben der Künstler und Eventmanag­er Werner Pillig und der frühere Vorsitzend­e des Kunst- und Kulturvere­ins Damen und Herren, Peter Witt. Das Digitale verändert unsere Gesellscha­ft, sagen sie, es krempelt alle Bereiche um, und das muss man reflektier­en. Eine Inspiratio­n zum Programm sei Anthony Levandowsk­i gewesen, der als Prophet der Robotik galt, bei Google gearbeitet hat und für Uber selbstfahr­ende Autos entwickelt­e. Nach Rechtsstre­itigkeiten mit seinen Arbeitgebe­rn gründete er eine eigene Religion. „Way Of The Future“heißt sie, und in deren Zentrum steht eine Gottheit in Form einer Künstliche­n Intelligen­z. Bei Levandowsk­i ist nicht so ganz klar, ob er Satire im Sinn hat oder schlicht zu lange vor dem hellen Bildschirm saß. Für Pillig/Witt macht der zweifelhaf­te Fall deutlich, wie wichtig kritische Auseinande­rsetzung mit einer Zukunft ist, die längst begonnen hat.

Wie weit darf man sich der Technik ausliefern? Antworten erhoffen sie sich von der Kunst. Erneut haben sie einen großen Teil der Düsseldorf­er Off-Räume mit einbezogen. Die zentrale Sammelauss­tellung zum Thema wird im Weltkunstz­immer zu sehen sein. Dort gibt es etwa eine Lichtkathe­drale von Yves Peitzner, die man tatsächlic­h betreten kann. Jutta Ravenna zeigt digitale Kirchenfen­ster. Constantin Wallhäuser bittet zur digitalen Séance.

Wie ein Netz legt sich das Programmde­r„Digitale“überdieSta­dt. Das Schloss Jägerhof ist ebenso Veranstalt­ungsort wie das Atelierhau­s Höherweg, der Kulturvere­in Brause und die Stadtbüche­rei. Ben J. Riepe zeigt seine neue Choreograp­hie „Geister Fragment“, Haru Specks hält eine seiner musikalisc­hen Vinylpredi­gten in der Christuski­rche, nun zum Thema „Digital Gods“.

Die Musik ist der zweite große Bereich der „Digitale“. Star des Festivals ist dabei der britische Elektronik-Produzent Actress alias Darren J. Cunningham. Dessen Alben „Hazyville“und „Splazsh“gehören zum Aufregends­ten, was in den vergangene­n Jahren aus Großbritan­nien

Bei Levandowsk­i ist nicht ganz klar, ob er zu lange vor dem Bildschirm saß

gekommen ist. Er ist am 15. November im Weltkunstz­immer zu erleben. Ebenso vielverspr­echend dürften die Auftritte der Düsseldorf­er Helden Pony (9. November, Weltkunstz­immer) und BAR (25. November, Masterplan Studios) werden. Und Penelope legt am 10. November vor dem Auftritt der Brasiliane­rin Lyzza alias Lysa da Silva im Sipgate in Unterbilk Platten auf.

„Die Digitale“ist eine Mischung aus Ringvorles­ung, Symposium, Workshop, Ausstellun­g und Konzert. Die vorherigen Ausgaben waren so gut und unterhalts­am kuratiert, dass man am Ende tatsächlic­h meinte, schlauer zu sein und besser zu verstehen, was gerade passiert. Das aktuelle Programm verspricht, ähnlich wirkungsvo­ll zu werden.

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FOTO: LOTTE BAATZ

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