Maria Theresia, König von Ungarn
Die Historikerin erforscht die kulturpolitischen Strukturen der frühen Neuzeit.
DÜSSELDORF Barbara Stollberg-Rilinger (63) bekleidet seit 1997 den Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Münster. Seit September 2018 ist sie Rektorin des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Heute verleiht ihr die Heinrich-Heine-Universität den mit 20.000 Euro dotierten Meyer-Struckmann-Preis.
Womit beschäftigen Sie sich genau? Stollberg-Rilinger Vor allem mit der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation. Einen weiteren Schwerpunkt habe ich auf der Kulturgeschichte des Politischen – politische Rituale und Verfahren, also die Strukturen der politischen Kultur. Es geht mir um die symbolische Dimension des Politischen, etwa Einsetzungsrituale, Sitz- und Stimmordnungen.
Was war ein bedeutendes Symbol? Stollberg-Rilinger Die Krönung Maria Theresias zum König von Ungarn, weil sie als Frau die Herrschaft geerbt, aber ein Legitimationsproblem hatte. Weil „Weiberherrschaft“damals für verwerflich gehalten wurde. Deswegen hat man sie 1740 zum König gekrönt und nicht zur Königin. Man sah ausdrücklich von ihrem weiblichen Geschlecht ab. Also hat man, und das war eine juristische Fiktion, die Erbin dieser habsburgischen Länder – unter anderem Ungarn und Böhmen – wie einen Mann behandelt. Sie wiederum tat in diesem Ritual alles, was sonst nur Männer taten, wenn sie gekrönt wurden: Sie ritt auf einem Pferd und führte das Schwert symbolisch zur Verteidigung der Christenheit.
Welche Wirkung kann das haben? Stollberg-Rilinger Einerseits gibt es Rituale der Ordnung, etwa eine Krönung. Andererseits gibt es Symbole des Widerstandes und des Umsturzes. Man kann zeigen, wie so etwas über die Jahrhunderte funktioniert. Menschen zerstören ein Symbol der Unterdrückung, der alten Ordnung, um die Ordnung selbst zu zerstören. Das war bei der Bastille 1789 so. Nach der Erstürmung hat man sie in kleine Teile zerhackt. Ein kommerzieller Unternehmer hat sie verkauft und ein Vermögen gemacht. Ähnlich war es beim Mauerfall. Da hat man die Mauer als Symbol der Unterdrückung nicht nur vom Bagger niederreißen lassen, sondern die Einzelteile als Symbole der Zerstörung des Unterdrückungsregimes unter die Leute gebracht.
Fehlt uns Geschichtskunde? Stollberg-Rilinger Was die deutsche Geschichte uns lehrt, war selten so wichtig wie heute wieder. Wir erleben ja eine bedrohliche Entwicklung – populistische, fremdenfeindliche, antisemitische und nationalistische Tendenzen überall auf der Welt. Natürlich ist es Aufgabe der Geschichtswissenschaft, gerade in Deutschland, in Erinnerung zu halten, wohin es führt, wenn man solchen Tendenzen nachgibt.