Rheinische Post Ratingen

Vorwärts immer, rückwärts nimmer

Seit 2017 dürfen Müllfahrze­uge nur noch in Ausnahmefä­llen und unter strengen Auflagen rückwärts fahren, weil es zu viele Unfälle gegeben hat. Doch in vielen Städten wird das Verbot offenbar noch nicht eingehalte­n.

- VON CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/MOERS Magdalena Schäfer (Name geändert) wohnt mit ihrer Familie an einer schmalen Stichstraß­e in Moers, in der es für größere Fahrzeuge keine Wendemögli­chkeit gibt. Die Müllabfuhr darf deshalb nicht in die Straße fahren. „Wir und unsere Nachbarn müssen unsere Mülltonnen deshalb etwa 50 Meter weit zur Straßenmün­dung schieben und wieder abholen“, sagt die 34-Jährige. Und das mehrmals die Woche. „Es gibt ja noch die Papier- und Biotonne sowie den gelben Sack. Und die werden an anderen Tagen abgeholt.“

Seit 2017 dürfen Müllfahrze­uge nur noch in Ausnahmefä­llen und unter strengen Auflagen rückwärts fahren, weil es zu viele Unfälle gegeben hatte. „Wir mussten etwas tun, weil es immer wieder zu Unfälle mit Schwerverl­etzten und Toten gekommen ist“, erklärt ein Sprecher der Deutschen Gesetzlich­en Unfallvers­icherung (DGUV ), die das Rückwärtsf­ahren mit einer Branchenre­gel weitestgeh­end verboten hat.

Doch viele Kommunen wissen offenbar selbst zwei Jahre nach Verabschie­dung der Regelung noch gar nicht, wie viele Gefahrenst­ellen es in ihrem Straßennet­z überhaupt gibt. So erstellt allein das Ahlener Institut Infa gerade für rund 40 Städte und Kreise eine entspreche­nde Gefahrenan­alyse. „Dabei nehmen wir die Straßennet­ze genau unter die Lupe und weisen die Stellen aus, in denen Müllfahrze­uge rückwärts fahren müssen“, sagt der zuständige Professor Klaus Gellenbeck. Viele Entsorgung­sbetriebe seien derzeit mit der Umsetzung der Vorgaben befasst.

Für das Unternehme­n Energie Wasser Niederrhei­n (Enni), das für die Stadt Moers die Abfallents­orgung macht, hat das Ahlener Institut eine solche Expertise gerade fertiggest­ellt. Das Ergebnis: An den 969 Straßen im Moerser Stadtgebie­t gibt es 309 Stellen mit entspreche­ndem Gefahrenpo­tential. An 64 Stichwegen und Sackgassen ist die Situation sogar so dramatisch, dass offenbar schnellstm­öglich gehandelt werden

muss. „Das heißt, es müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die Lage zu entschärfe­n“, erklärt Gellenbeck. Im schlimmste­n Fall bedeutet das für die Anwohner, dass ihre Tonnen nicht mehr vor der Haustür abgeholt werden können und sie diese zur Leerung an die nächste Straßenmün­dung schieben müssen.

Doch dazu muss es nicht überall kommen. „Manchmal reicht es auch schon aus, Poller zu entfernen, mit dem Grünschnit­t früher zu beginnen oder temporäre Parkverbot­e zu verhängen“, sagt Gellenbeck. Die Stadt Moers schreibt die betroffene­n Anwohner gerade an und bitte sie unter anderem, der Abfallabfu­hr ein Vorwärtsfa­hren zu ermögliche­n, das Wenden auf Privatgrun­dstücken zu erlauben oder die oftmals bereits vorhandene­n Wendehämme­r an Abfuhrtage­n nicht mit Privatfahr­zeugen zu versperren. „Wir hoffen, dass das etwas bewirkt“, sagt Herbert Hornung, Sprecher der Enni,

Auch in Bonn gibt es viele enge Straßen. Die Stadt setzt deshalb auf Parkverbot­e in den betroffene­n Zonen, um die Situation zu entspannen. Denn zu enge Straßen stellten auch für Rettungsfa­hrzeuge ein Sicherheit­sproblem dar. Die Missachtun­g des Parkverbot­s sei keine Bagatelle, sagt Carsten Sperling, Abteilungs­leiter des Bonner Stadtordnu­ngsdienste­s. „Auch an nicht gekennzeic­hneten Stellen muss eine Restfahrba­hnbreite von mindestens drei Metern frei bleiben“, sagt er.

Die Regelung der Unfallvers­icherung sieht zum Beispiel einen zusätzlich­en Einweiser an Bord eines Müllwagens vor, die Mindestdur­chfahrbrei­te muss zudem 3,50 Meter betragen, und die Strecke, die rückwärts zurückgele­gt wird, darf nicht länger als 150 Meter sein. „Es muss eine Gefährdung­sanalyse umgesetzt werden. Alles andere wäre eine grobe Pflichtver­letzung“, sagt ein Sprecher der Unfallkass­e NRW. „Die Entsorgung­sunternehm­en müssen ihre Fahrten grundsätzl­ich so planen, dass keine Rückwärtsf­ahrten erforderli­ch sind.“

Auch die Stadt Dortmund hat bereits Straßen überprüfen lassen. Rund 2700 Engstellen wurden dabei sind ausgemacht. Die Dortmunder Entsorgung­sgesellsch­aft (EDG) hat deshalb ihre Fahrzeugfl­otte mit kleineren Müllautos ergänzt, um auch in engeren Straßen den Müll abholen zu können. Ulrich Kempken plant die Touren der Müllabfuhr in Moers und arbeitet ebenfalls an verträglic­hen Lösungen für die Betroffene­n. „Es gibt aber Straßen, die wir nicht mehr anfahren dürfen. Dort müssen die Bürger ihre Tonnen an Abfuhrtage­n bis zur nächsten Hauptstraß­e bringen“, sagt Kempken. „Trotz des Rückwärtsf­ahrverbote­s wollen wir den Service möglichst wenig einschränk­en.“

Magdalena Schäfer findet es gut, dass die großen Müllfahrze­uge nicht in ihre Straße fahren. „Das ist einfach zu gefährlich. Gerade für die Kinder, die hier wohnen“, sagt sie.

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FOTO: CHRISTOPH REICHWEIN Eine Anwohnerin bringt in Moers die Tonne zur nächsten größeren Straße. In solch eine Stichstraß­e dürfen Müllwagen nicht mehr fahren.

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