Vorwärts immer, rückwärts nimmer
Seit 2017 dürfen Müllfahrzeuge nur noch in Ausnahmefällen und unter strengen Auflagen rückwärts fahren, weil es zu viele Unfälle gegeben hat. Doch in vielen Städten wird das Verbot offenbar noch nicht eingehalten.
DÜSSELDORF/MOERS Magdalena Schäfer (Name geändert) wohnt mit ihrer Familie an einer schmalen Stichstraße in Moers, in der es für größere Fahrzeuge keine Wendemöglichkeit gibt. Die Müllabfuhr darf deshalb nicht in die Straße fahren. „Wir und unsere Nachbarn müssen unsere Mülltonnen deshalb etwa 50 Meter weit zur Straßenmündung schieben und wieder abholen“, sagt die 34-Jährige. Und das mehrmals die Woche. „Es gibt ja noch die Papier- und Biotonne sowie den gelben Sack. Und die werden an anderen Tagen abgeholt.“
Seit 2017 dürfen Müllfahrzeuge nur noch in Ausnahmefällen und unter strengen Auflagen rückwärts fahren, weil es zu viele Unfälle gegeben hatte. „Wir mussten etwas tun, weil es immer wieder zu Unfälle mit Schwerverletzten und Toten gekommen ist“, erklärt ein Sprecher der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV ), die das Rückwärtsfahren mit einer Branchenregel weitestgehend verboten hat.
Doch viele Kommunen wissen offenbar selbst zwei Jahre nach Verabschiedung der Regelung noch gar nicht, wie viele Gefahrenstellen es in ihrem Straßennetz überhaupt gibt. So erstellt allein das Ahlener Institut Infa gerade für rund 40 Städte und Kreise eine entsprechende Gefahrenanalyse. „Dabei nehmen wir die Straßennetze genau unter die Lupe und weisen die Stellen aus, in denen Müllfahrzeuge rückwärts fahren müssen“, sagt der zuständige Professor Klaus Gellenbeck. Viele Entsorgungsbetriebe seien derzeit mit der Umsetzung der Vorgaben befasst.
Für das Unternehmen Energie Wasser Niederrhein (Enni), das für die Stadt Moers die Abfallentsorgung macht, hat das Ahlener Institut eine solche Expertise gerade fertiggestellt. Das Ergebnis: An den 969 Straßen im Moerser Stadtgebiet gibt es 309 Stellen mit entsprechendem Gefahrenpotential. An 64 Stichwegen und Sackgassen ist die Situation sogar so dramatisch, dass offenbar schnellstmöglich gehandelt werden
muss. „Das heißt, es müssen dringend Maßnahmen ergriffen werden, um die Lage zu entschärfen“, erklärt Gellenbeck. Im schlimmsten Fall bedeutet das für die Anwohner, dass ihre Tonnen nicht mehr vor der Haustür abgeholt werden können und sie diese zur Leerung an die nächste Straßenmündung schieben müssen.
Doch dazu muss es nicht überall kommen. „Manchmal reicht es auch schon aus, Poller zu entfernen, mit dem Grünschnitt früher zu beginnen oder temporäre Parkverbote zu verhängen“, sagt Gellenbeck. Die Stadt Moers schreibt die betroffenen Anwohner gerade an und bitte sie unter anderem, der Abfallabfuhr ein Vorwärtsfahren zu ermöglichen, das Wenden auf Privatgrundstücken zu erlauben oder die oftmals bereits vorhandenen Wendehämmer an Abfuhrtagen nicht mit Privatfahrzeugen zu versperren. „Wir hoffen, dass das etwas bewirkt“, sagt Herbert Hornung, Sprecher der Enni,
Auch in Bonn gibt es viele enge Straßen. Die Stadt setzt deshalb auf Parkverbote in den betroffenen Zonen, um die Situation zu entspannen. Denn zu enge Straßen stellten auch für Rettungsfahrzeuge ein Sicherheitsproblem dar. Die Missachtung des Parkverbots sei keine Bagatelle, sagt Carsten Sperling, Abteilungsleiter des Bonner Stadtordnungsdienstes. „Auch an nicht gekennzeichneten Stellen muss eine Restfahrbahnbreite von mindestens drei Metern frei bleiben“, sagt er.
Die Regelung der Unfallversicherung sieht zum Beispiel einen zusätzlichen Einweiser an Bord eines Müllwagens vor, die Mindestdurchfahrbreite muss zudem 3,50 Meter betragen, und die Strecke, die rückwärts zurückgelegt wird, darf nicht länger als 150 Meter sein. „Es muss eine Gefährdungsanalyse umgesetzt werden. Alles andere wäre eine grobe Pflichtverletzung“, sagt ein Sprecher der Unfallkasse NRW. „Die Entsorgungsunternehmen müssen ihre Fahrten grundsätzlich so planen, dass keine Rückwärtsfahrten erforderlich sind.“
Auch die Stadt Dortmund hat bereits Straßen überprüfen lassen. Rund 2700 Engstellen wurden dabei sind ausgemacht. Die Dortmunder Entsorgungsgesellschaft (EDG) hat deshalb ihre Fahrzeugflotte mit kleineren Müllautos ergänzt, um auch in engeren Straßen den Müll abholen zu können. Ulrich Kempken plant die Touren der Müllabfuhr in Moers und arbeitet ebenfalls an verträglichen Lösungen für die Betroffenen. „Es gibt aber Straßen, die wir nicht mehr anfahren dürfen. Dort müssen die Bürger ihre Tonnen an Abfuhrtagen bis zur nächsten Hauptstraße bringen“, sagt Kempken. „Trotz des Rückwärtsfahrverbotes wollen wir den Service möglichst wenig einschränken.“
Magdalena Schäfer findet es gut, dass die großen Müllfahrzeuge nicht in ihre Straße fahren. „Das ist einfach zu gefährlich. Gerade für die Kinder, die hier wohnen“, sagt sie.